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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Sartaj erzählte Katekar von dem abgetrennten Fuß, den er auf der Straße hatte liegen sehen, von dem Baum, der alles Laub verloren hatte. »Er hat Glück gehabt«, sagte Katekar und wies mit dem Kinn auf Kazimi. Katekar wirkte traurig. Ich träume, dachte Sartaj.
    Dann war er wach. Mary schlief neben ihm, die Hand auf seinem Arm. Ihr Atem ging langsam und leicht in der Stille. Sartajs Hüfte war steif geworden, aber er wollte sich in dem schmalen Bett nicht umdrehen, um sie nicht zu wecken. Kazimi hat Glück gehabt, dachte er. Es waren schlimme Unruhen gewesen. Diese endlosen Nächte - brennende Bastis, flüchtende Muslime, Männer mit Schwertern. Die Schreie. Die Schüsse, die zwischen den Häusern widerhallten. Wer hatte auf Kazimi geschossen, ein Hindu oder ein Muslim? Oder ein Polizist, der aufs Geratewohl in die Menge gefeuert hatte? Jedenfalls hatte Kazimi Glück gehabt. Glück, daß er nur hinkte und nicht im Rollstuhl saß. Dann hätte er die holprigen Gassen nicht passieren können. Allenfalls mit einem Rollstuhl wie dem von Bunty.
    Sartaj setzte sich auf. Er war jetzt hellwach, und in seinen Schläfen pochte das Blut. Mary bewegte sich neben ihm, er hatte sie angestoßen.
    »Was ist?« fragte sie.
    Sartaj dachte an Buntys Rollstuhl, dieses schnittige ausländische Modell. Und er hatte eine Stimme aus längst vergangenen Zeiten im Ohr, die eines predigenden Mannes. Eine goldene Stimme, erfüllt von den Wahrheiten, die sie verkündete. Den Mann selbst konnte er nicht sehen, aber er war da, auf einem Fernsehschirm. Es war ein großer Guru, ein berühmter Guru, und er hatte ein Yagna abgehalten. Marys Fernseher war dunkel, Sartaj spiegelte sich darin. Ein Rad war auf dem anderen Bildschirm zu sehen gewesen, hinter dem Kopf des Gurus. Ein leuchtendes Rad, vor langer Zeit. Der Guru hatte in einem Rollstuhl gesessen. In einem schnellen Rollstuhl, einem ganz besonderen Rollstuhl. Sartaj erinnerte sich an das leise Surren des Elektromotors.
    »Ich muß gehen«, sagte er.
    »Was ist los?«
    »Nichts, nichts. Ich muß zur Arbeit. Ich ruf dich an.«
    Er küßte sie, zog ihr die Decke über die Schultern und sammelte seine Sachen ein. Auf der Treppe war es noch dunkel, doch zwischen den Häusern sah man einen ersten Lichtstreif am Horizont. Er schloß die Tür hinter sich und setzte sich auf die oberste Stufe, um sich die Schuhe anzuziehen, mit flatternden Fingern, denn es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen. In großen Sprüngen eilte er die Treppe hinunter, und kaum war er unten, holte er sein Handy hervor. Das Display war leblos grau. Maderchod, er hatte es gestern abend nicht aufgeladen. Im nächsten Moment saß er auf dem Motorrad und raste durch die leeren Straßen. Er kannte eine Telefonkabine in der Nähe des Bahnhofs Santa Cruz, die rund um die Uhr geöffnet hatte, und in weniger als zehn Minuten war er dort. Er klopfte an die Scheibe und scheuchte den jungen Mann auf, der hinter der Theke döste. Los, mach schon. Während die Verbindung hergestellt wurde, horchte er auf das Klicken in der Leitung. In die grüne Holzwand zwischen Kabine und Theke war ein großes Herz eingeritzt. Ein Pfeil durchbohrte es, und links und rechts davon stand in schwungvoller Schrift »Reshma« und »Sanjay«. Blut tropfte aus dem Herzen bis auf den Boden hinab. Sartaj fuhr mit dem Finger über den Pfeil.
    »Hallo?« Anjali Mathurs Stimme klang leise und rauh, aber hellwach.
    »Madam«, sagte Sartaj, »Hier ist Sartaj Singh, ich rufe aus Mumbai an. Sie haben geschlafen - tut mir leid.«
    »Was ist passiert? Reden Sie.«
    »Madam, ich glaube, ich kenne Gaitondes Guru.«

Menü
    Ganesh Gaitonde
macht einen Film

    » D ann trägt man den Lidschatten auf, zum Rand hin etwas dunkler.«
    Ich lag auf einem Bett mit silbernem Gestell und Satinlaken und sah Jamila beim Schminken zu. Sie saß direkt vor dem Spiegel, der von einem Rund heller Glühbirnen umgeben war, und analysierte ihr Gesicht mit der kühlen Distanziertheit eines Arztes. Sie war oben ohne, doch wenn sie sich mit ihrem Gesicht befaßte, konnte ich den Blick nicht von ihren Augen, ihren Wangen abwenden. »Jetzt kommt der Eyeliner dran, Lakme Tiefschwarz. An den äußeren Augenwinkel setzt man ein kleines Schwänzchen, siehst du? Wie ein kleiner Fisch. Er biegt sich nach oben. Das verändert die Kontur der Augen. Okay, also. Wenn man oben einen dicken Lidstrich zieht, ist man beim unteren Lid eher zurückhaltend. Sonst würde der Effekt beim oberen verlorengehen. Wenn die

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