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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Mann.
    »Anaita!«
    Adi steht mit einer Bratpfanne in der Hand im Innenhof. Anaita kichert bei seinem Anblick, denn in diesem schäbigen chinesischen Morgenmantel mit dem klauenkrümmenden Drachen sieht er absolut lächerlich aus, doch er weigert sich standhaft, sich davon zu trennen. »Was machst du denn, Yaar?« fragt er. »Bitte nimm dein Bad, sonst komme ich nachher zu spät.«
    »Ich komme schon, Baba, ich komme«, sagt Anaita. Sie sieht sich noch ein letztes Mal in ihrem Garten um, dann geht sie hinunter zu ihrem Leben.
    V
    S elbst während Major Shahid Khan seinen Sieg auskostet, quält ihn der Gedanke an eine Niederlage. Er stutzt gerade seinen Bart und sieht im Spiegel, daß sich seine Angst weder in seinem Gesicht noch in seinen Augen abzeichnet. Dieses ausdruckslose Gesicht hat er sich antrainiert. Er hat die punjabische reine Haut seiner Ammi, nicht aber ihr lebhaftes Mienenspiel. Seine Frau wundert sich manchmal, daß sich zwei enge Verwandte so unähnlich sein können. Aber Shahid Khan weiß, daß er Ammis Melancholie geerbt hat, ihre gewaltige Wut, ihren plötzlichen, bitteren Sarkasmus. Bloß hat er gelernt, sich zu beherrschen. Er läßt sich nie etwas anmerken, nichts. Trotz all ihrer Traurigkeit lacht Ammi manchmal, bis sie puterrot anläuft und man sich fast ein wenig um sie sorgt, sie aber nicht warnen kann, da man selbst vollauf damit beschäftigt ist, sich zu beherrschen. Ihre Liebe zu Shahid, seinem Bruder und seiner Schwester ist so rückhaltlos und unübersehbar, daß andere Mütter sich darüber lustig machen. Die Opfer, die sie für ihre Kinder gebracht hat, sind legendär. Doch Shahid Khan hat die ganze Emotionalität, die aus seinen Genen emporwirbelt, weggedrückt, hat schon früh - auf den steinigen Wegen seiner Kindheit - gelernt, den Panzer der Ausdruckslosigkeit zu tragen. Diese Fähigkeit hat ihm in seinem Beruf gute Dienste geleistet. Diese Fähigkeit und dazu sein Glaube, der ihm ein felsenfestes Fundament ist und ihm die Kraft gibt, alles zu ertragen.
    Doch heute macht er sich Sorgen. Er ist in London, und gestern am späten Abend, kurz bevor er sein Büro in der pakistanischen Botschaft verließ, hat er von einem Tod auf der anderen Seite der Erde erfahren. Ein gewisser Gurcharan Singh Bhola ist in einem Dorf namens Veroke im Distrikt Gurdaspur von der indischen Polizei getötet worden. Gurcharan Singh Bhola war der Kommandant der Khalistan Tiger Force, die im Laufe der vergangenen Jahres von der indischen Polizei erbarmungslos reduziert worden ist. Und jetzt ist Gurcharan Singh Bola tot. Shahid Khan ist ihm einmal begegnet, damals, als er noch Leutnant war und sich in den Dörfern und Feldern des Punjab die ersten Sporen verdiente. Gurcharan Singh Bhola war ein großgewachsener Mann, sehr beeindruckend mit seiner Ringerstatur und dieser glühenden Hingabe an seine Khalistan. Doch da ihm Shahid Khan nur einmal begegnet ist, nämlich als Bhola eines Nachts seinen Vorposten passierte, ist er an diesem Morgen nicht aus Trauer um den Sardar so bedrückt. Er ist im Moment sehr weit vom Punjab entfernt, doch es ist offensichtlich, daß die Inder dabei sind, die Khalistan-Bewegung zu zerschlagen. Sie sind brutal, erbarmungslos. Mit der Unterstützung von Zentralgewalt und Landesregierungen bringen Armee und paramilitärische Organisationen die Revolutionäre einen nach dem anderen zur Strecke. Shahid Khan weiß genau, was es gekostet hat - an Geld, Anstrengung und Menschenleben -, die Bewegung aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Jetzt ist sie am Ende. Dieser Rückschlag pocht Shahid Khan in den Venen. Während der Ausbildung hat man ihn gelehrt, Verluste zu akzeptieren. Er glaubt an den großen, endgültigen Sieg, so wie er an den Spiegel glaubt, der vor ihm an der Wand hängt, er ist eine schlichte Tatsache für ihn, doch die mit jedem Verlust einhergehende Demütigung hat Shahid Khan schon immer aufgebracht. Er weiß, daß diese Wut eine Schwäche ist. Sie vernebelt seine Urteilskraft. Er hatte gehofft, daß er mit zunehmendem Alter an Gelassenheit gewinnen würde, aber sein Zorn bleibt. Er versucht sich auf seine Erfolge zu konzentrieren, insbesondere auf die Operation kürzlich in der zusammengebrochenen UdSSR, eine Operation, der er neues Leben einhauchte, nachdem die Inder sie fast abgewürgt hatten. Jahrzehntelang, in der Zeit der innigen Beziehungen zwischen Indien und der UdSSR, ließen die Inder einen Großteil ihrer Banknoten mit hohem Nennwert in der Ukraine drucken. Nach

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