Der Pate von Bombay
Weile stumm vor sich hin. Dann versuchte er es mit Reiten, aber nur so lange, bis er an ein widerspenstiges Pferd geriet.
Er rief von Moskau aus den Arzt in Karatschi an und legte fast auf, als er dessen Vorschlag hörte. Es dauerte zwei Monate, bis er sich Wolle kaufte, und noch mal drei Wochen, bis er schließlich anfing. Doch schon beim ersten Mal in seinem Hotelzimmer in Tallinn stellte er fest, daß seine Hände wie von selbst in den Rhythmus fielen. Das straffe Gegeneinander von linken und rechten Maschen leuchtete ihm ein, und er mußte nicht nachdenken. Er mußte nicht schneller oder besser oder auch nur gut stricken. Er stellte einfach etwas her, etwas Rotes, Großes, seltsam Geformtes, und beschloß später, daß es ein Schal war.
Und so sitzt Shahid Khan nun mit Blick in die Mittagssonne da. Seine Augen sind weit offen, und er spürt nur ein leichtes Brennen im Bauch, das er ignoriert. Bald wird es ganz verschwunden sein. Er atmet ein und aus. Das weiße Garn spannt sich über seiner Haut und lockert sich wieder. Die Nadeln klappern aneinander. Die Wolle läuft, formt Masche um Masche. Bald ist sein Kopf, sein Herz mit dem strahlenden Glanz von Allahs Gnade erfüllt. Das Strickwerk wächst, und er ist im Frieden.
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Ganesh Gaitonde
gestaltet sich um
I n jenem Winter gab ich mir ein neues Gesicht. Ich machte mir schon seit einiger Zeit Sorgen wegen der vielen Fotos von mir in den indischen Zeitungen und Zeitschriften. Im Fernsehen wurden regelmäßig Videoaufnahmen ausgestrahlt, die mich beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in Bombay zeigten. Ich war zu leicht wiederzuerkennen, zu bekannt. Am Strand von Ko Samui hatten sich einmal ein paar junge indische Touristen nach mir umgedreht, mich angestarrt und nervös miteinander getuschelt. Ich hatte Indien nicht nur verlassen, um einen weiteren Gefängnisaufenthalt zu vermeiden, sondern auch, um mich meinen vielen Feinden zu entziehen. Also mußte ich mich verändern. Ich hatte gesehen, wie Zoya sich umgestaltet hatte, wußte also, wie sich das machen ließ, was es an Geld und Schmerzen kostete, welche Möglichkeiten es bot. Eine Verwandlung war angesagt.
Und ich wollte diese Verwandlung wirklich, nicht nur aus Sicherheitsgründen. Eine Unzufriedenheit rumorte in meinem Innern, eine permanente Verstimmung. Jeden Morgen schaute ich mich im Spiegel an, doch ich sah nicht den Mann, als den ich mich kannte. Ich kannte mein Gesicht als hager und markant, von den Schrecken und Triumphen meines Lebens gezeichnet. Doch mit fortschreitendem Alter waren meine Wangen schlaff, meine Nase dicker geworden. Mein Kinn sank in einen Fettwulst, meine Augenwinkel hingen nach unten. Dieses Verschwimmen meiner Gesichtszüge war unerträglich. Ich wollte mein Äußeres verändern, damit es dem Innern entsprach.
Natürlich ging ich zu Zoyas Dr. Langston Lee. Ich gab ihm zwei Monate Zeit und einen Haufen Geld und erlitt schlimmere Schmerzen als je zuvor. Er gab mir eine lange, elegante Nase mit scharfem Rücken, neue Wangenknochen, ein schmaleres Kinn, das zu der Nase paßte, und befreite mich von meinen Hängebacken. Er nahm ein paar subtile Veränderungen an meinen Augenbrauen vor und zauberte je ein Grübchen in meine nun straffen Wangen. Ich war ein neuer Mensch. Als ich mich das erste Mal im Spiegel betrachtete, nachdem man mir den Verband abgenommen hatte, hätte ich Dr. Langston Lee, diesen kleinen chinesischen Mistkerl, am liebsten umarmt. Trotz der noch vorhandenen Schwellungen und Nähte erkannte ich, daß er begriffen hatte, was ich werden wollte. Seine Begabung lag nicht nur in seinen Fingerspitzen, sondern auch in seinem Blick und seiner Vorstellungskraft. Er konnte an dem Traum, den man hatte, teilhaben und durch Haut und Fett schneiden, um ihn wahr werden zu lassen. Ich sah völlig anders aus als der Ganesh Gaitonde von vorher. Ich war der Ganesh Gaitonde, der ich sein wollte. Ich war ich selbst.
»Zoya wird Sie bestimmt nicht erkennen, Bhai«, sagte Suhasini, als sie und Arvind mich nachmittags besuchen kamen. »Ich erkenne Sie ja selbst kaum. Dieser Langston Lee ist ein Genie.«
Es bereitete mir Schmerzen zu lächeln, doch ich tat es trotzdem. Mir gefiel die Vorstellung, daß Zoya mich nicht erkennen, daß dieser neue Mann ihr ein Rätsel sein würde. Ich wollte sie verwirrt, nervös, unsicher sehen. Sie drehte gerade zwei Filme in Amerika, einen in Detroit und einen in Houston, und ich hatte ihr nichts von meinen Plänen bezüglich eines neuen Äußeren
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