Der Pate von Bombay
wollten gerade in das neue Kholi umziehen, als ihnen der Sohn auf grausame Weise entrissen wurde.
»Aber«, sagte Sartaj, »ein großes neues Haus, das muß doch eine Menge Geld gekostet haben.«
Nurul Shah sah zu Boden. Er hatte schütteres weißes Haar und durch lebenslange schwere Arbeit gebeugte Schultern.
»Die Nachbarn sagen, Ihre Familie sei plötzlich reich«, sagte Sartaj. »Sie sagen, Ihr Sohn habe seinen Schwestern einiges spendiert. Sie sagen, er habe seiner Mutter eine neue Brille gekauft.«
Nurul Shah hatte die Hände ineinander verschlungen, die Fingerspitzen weiß von dem Druck. Er begann lautlos zu weinen.
»Wenn ich hinter den Vorhang schaue«, sagte Sartaj, »finde ich bestimmt noch mehr teure Sachen. Woher hatte Ihr Sohn das ganze Geld?«
»He«, knurrte Katekar, »der Inspektor-saab hat dich was gefragt. Antworte!«
Sartaj legte Nurul Shah die Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen, obwohl der Mann bei der Berührung in Panik geriet. »Hören Sie zu«, sagte er ganz leise. »Ihnen und Ihrer Familie wird nichts geschehen. Ich bin nicht daran interessiert, Ihnen Schwierigkeiten zu machen. Aber Ihr Sohn ist tot. Wenn Sie mir nicht alles sagen, kann ich Ihnen nicht helfen. Dann kann ich die Dreckskerle, die das getan haben, nicht finden.«
Der Mann hatte Angst vor den Polizisten in seinem Haus, Angst vor allem, was passiert war und noch passieren konnte, aber er versuchte Mut zu fassen.
»Ihr Sohn hat zwielichtige Geschäfte gemacht. Wenn Sie mir alles sagen, werde ich die Kerle finden, wenn nicht, kommen sie ungestraft davon.« Sartaj zuckte die Schultern und straffte sich.
»Ich weiß nichts, Saab«, sagte Nurul Shah. »Ich weiß nichts.« Er beugte sich zitternd vor. »Ich habe Shamsul gefragt, was er macht, aber er hat mir nichts gesagt.«
»Er und diese beiden, Bazil und Faraj, haben sie zusammengearbeitet?«
»Ja, Saab.«
»War sonst noch jemand dabei?«
»Ja, Reyaz Bhai.«
»Ein Freund von den dreien?«
»Er war älter.«
»Der volle Name?«
»Ich weiß nur Reyaz Bhai.«
»Wie sieht er aus?«
»Ich bin ihm nie begegnet.«
»Wo wohnt er?«
»Vier Gassen weiter, Saab. Zur Hauptstraße hin.«
»Er wohnt hier in Navnagar, im Bengali Bura, und Sie sind ihm nie begegnet?«
»Nein, Saab. Er geht selten aus dem Haus.«
»Warum?«
»Er kommt aus Bihar, Saab«, antwortete Nurul Shah, als sei das eine Erklärung.
Doch auch der Bihari hatte sein Kholi verlassen; eine neue Familie wohnte bereits darin. Sartaj und Katekar suchten den Vermieter auf, einen beleibten Tamilen, der am anderen Ende von Navnagar wohnte. Er hatte den Raum am Tag des Mordes leer vorgefunden und ihn sofort ausgeräumt und weitervermietet. Nein, er wisse nichts über diesen Reyaz, außer daß er im voraus bezahlt und keine Schwierigkeiten gemacht hat. Wie er aussehe? Groß, dünn, junges Gesicht, aber volles weißes Haar. Ja, schneeweiße Haare. Vierzig oder fünfzig, schwer zu sagen. Geschliffene Sprache, eindeutig gebildet. Er habe nichts in dem Kholi zurückgelassen außer ein paar Büchern, die er, der Vermieter, noch am selben Nachmittag an eine Papier- und Schrotthandlung in der Hauptstraße verkauft habe. Was für Bücher? Das wisse er nicht.
Dann standen Sartaj und Katekar am Rand von Navnagar, dieser kleinen Welt für sich. »Okay«, sagte Sartaj und schaute zu dem ansteigenden Gewirr rostiger Blechdächer auf. »Dieser Bihari ist also der Boß.«
»Er plant alles, und die drei sind seine Jungs.« Katekar wischte sich mit einem riesigen blauen Taschentuch über Gesicht, Nacken und Unterarme. »Die machen Geld.«
»Womit? Betrügereien? Raubüberfälle? Oder sind sie Killer in einer Gang?«
»Kann sein. Aber Bangladeshis in einer Gang? Das hab ich noch nie gehört.«
»Die sind hier aufgewachsen, also sind sie vielleicht mehr Inder als irgendwas sonst. Der Schlüssel zum Ganzen ist dieser Bihari. Er ist älter, er arbeitet professionell. Er lebt zurückgezogen, prahlt nicht mit seinem Geld, und wenn es brenzlig wird, verschwindet er. Wo der ist, da sind bestimmt auch die beiden Jungen.«
»Ja, Saab.« Katekar steckte sein Taschentuch weg. »Wir suchen also den Bihari.«
»Wir suchen den Bihari, genau.«
Doch die Suche nach dem Bihari mußte warten, bis Sartaj gewisse andere Pflichten erledigt hatte. In der Polizeiarbeit mußte man oft eine Sache zurückstellen und sich zunächst um eine andere kümmern. Was Sartaj jetzt zu tun hatte, war ganz und gar inoffiziell, es stand in
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