Der Pate von Bombay
ich sah aus dem Augenwinkel, wie er zwischen den Bäumen aufflog. Dann bogen wir um einen dicken, uralten Neem-Baum und standen vor dem Haus.
Es war ein einstöckiges Gebäude, breit und weitläufig. Vorne in der Außenmauer befanden sich keine Fenster, nur ein hoher Torbogen, der in eine kleine, offene Galerie führte. Die Torflügel waren grün und massiv, und in den linken war eine kleinere Tür eingelassen, gerade breit genug für einen Mann. Sie stand offen, und Nikhil rasselte mit der daneben hängenden Schließkette. »Are«, rief er. »Ko hai?«
Doch die einzige Antwort war das Gurren der Tauben, die auf den Sparren im Torbogen herumspazierten. Ich steckte den Kopf durch die Tür. In einem Stall zur Linken kauten eine Kuh und ihr Kalb zufrieden vor sich hin. Geradeaus führten vier Backsteinstufen zu einem Treppenabsatz, und dahinter lag ein einzelner Raum, in dem ich eine altmodische Takath 613 , zwei Stühle und eine große runde Uhr entdeckte. Die Luft war kühl und von dem uralten Geruch nach Kuhdung erfüllt. Der Putz an den Wänden rings um den Treppenabsatz war abgeblättert, und der Ziegelboden der Galerie war ausgetreten. Es war ein altes Haus, nicht nur alt, sondern auch altmodisch. Neben dem Kuhstall stand eine Handpumpe, aus der Wassertropfen platschend auf das eiserne Abflußgitter fielen.
»Bist du dir sicher, daß wir hier richtig sind?« fragte ich Nikhil.
Er zeigte auf die eine Seite des Treppenabsatzes. Hinter einer Säule führte eine Rampe über die Stufen hinauf, gerade breit genug für einen Rollstuhl. Na gut, vielleicht war das tatsächlich Guru-jis Haus, doch es hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was er sonst hatte bauen lassen. Was war das für ein Gebäude? Nikhil rasselte noch einmal mit der Kette.
Ein lautes Hupen schreckte uns auf. Jatti stand grinsend neben dem Auto. Er ließ noch weitere gellende Hupsignale folgen, und ich schrie ihn an: »Es reicht, Maderchod!«, worauf er mit gekränkter Miene aufhörte. Die Stille nach diesem Radau war verblüffend, die Tauben flatterten nervös in der Veranda herum. Dann hörten wir ein Schlurfen, und ein Mann kam um die Ecke gebogen. Er war alt, mindestens siebzig, seinem steifen Gang nach zu urteilen. Als er näher kam, wurde mir klar, daß er sogar über Achtzig sein mußte. Er trug ausgebeulte weiße Pajamas, einen zerlumpten orangefarbenen Pullover und einen grauen Schal, den er sich bis unter die Ohren um den Hals gewickelt hatte. Er beäugte uns durch eine dicke, schwarzrandige Brille. Mitten durch das linke Glas verlief ein Sprung.
»Hain?« fragte er.
»Namaskar«, sagte Nikhil. »Namaste. Sind Sie der Malik 393 , der Herr des Hauses?«
Das war unverhohlene Schmeichelei, denn dieser Budhau 097 war weit davon entfernt, der Herr von irgend etwas zu sein. Doch der alte Mann nahm die Frage mit einem Lächeln entgegen. »Nein, nein«, sagte er. »Ich bin der Verwalter.«
»Der Verwalter«, wiederholte Nikhil und äffte dabei, wenn auch nur ganz leicht, den Punjabi-Akzent des Mannes nach. »Ah ja. Könnten wir vielleicht etwas Wasser haben? Wir sind die ganze Strecke von Amritsar bis hierher durchgefahren.«
Wir bekamen kochend heißen Tee. Der Alte führte uns in den Raum hinter dem Treppenabsatz, ließ uns dort Platz nehmen und tauchte eine Viertelstunde später mit Metallbechern und einer großen, geschwärzten Kanne wieder auf. Er schenkte jedem einen halben Becher ein und erkundigte sich, wer wir seien. Nikhil erzählte ihm, wir seien Geschäftsleute aus Delhi und auf der Suche nach gutem Ackerland. An der Hauptstraße habe uns jemand von dieser Obstplantage und dem Hof erzählt, und so seien wir hergekommen, um uns beides einmal anzusehen. Wer denn der Besitzer dieses schönen Anwesens sei?
»Saab kommt aus Delhi«, sagte der Mann.
»Und sein Name?«
»Mein Name ist Jagat Narain.«
»Ja, Jagat Narain. Sie machen guten Tee.« Nikhil nahm einen tiefen schlürfenden Schluck und schaute höchst anerkennend drein. »Und Saabs Name?«
»Was für ein Saab?«
Das würde lange dauern. Ich stand auf und schob mich aus der Tür. Neben dem Treppenabsatz führte eine weitere Tür zu einem dunklen Gang. Ich tastete mich hindurch und gelangte auf der anderen Seite in einen großen, mit Ziegeln geplättelten Innenhof. Genau in der Mitte wuchs ein Königsbasilikum, und auf allen vier Seiten befanden sich Zimmer. Ich umrundete den Innenhof langsam und stieß dabei die Türen auf. Sie öffneten sich quietschend und gaben den Blick
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