Der Pate von Bombay
umschloß.
Jatti, vom Besitzerstolz des Punjabi erfüllt, erklärte Nikhil, was es mit dem Zaun auf sich hatte. Er war Tausende von Kilometern lang, reichte von Rajasthan bis zum Punjab und weiter bis nach Jammu. Es war ein mehr als mannshoher Doppelzaun, der unter Strom stand und mit Glöckchen behängt war, die auf potentielle Eindringlinge aufmerksam machen sollten. Jatti erzählte, sein Chacha habe mal einen Pakistani gesehen, auf den man geschossen hatte, als er eines Nachts versuchte, den Zaun zu überwinden. Die Maschinengewehrkugeln hatten ihm regelrecht das Gesicht abrasiert. Jatti fuhr sich mit der gekrallten Hand am Gesicht vorbei. »Versteht ihr?« fragte er. »Der Mistkerl hatte echt kein Gesicht mehr.«
Ich beugte mich über die Brüstung und versuchte diesen lebensgefährlichen Zaun zu erspähen. Doch ich sah nur einen zarten Dunst am Horizont, jenseits der Obstbäume.
Jagat Narain kam zu mir herübergetrottet und stellte sich neben mich. »Baba-ji guckt auch immer.«
»Wohin?«
»Da raus. Er sitzt gern abends hier. Schaut sich den Sonnenuntergang an.«
Was sah Guru-ji, wenn er hier in die Ferne blickte? Es war schön, keine Frage, selbst um diese Zeit. Bei Sonnenuntergang mußte es besonders schön sein. Doch es gab auch anderswo schöne Sonnenuntergänge. Warum kam er hierher, mitten in die Pampa, bezahlte teures Geld für all dieses Land und für ein altes Haus, das in Wirklichkeit neu war? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu sehen, was er sah. Ich nahm das endlose, verschwommene Grün wahr, den Geruch der Erde, das Geräusch fließenden Wassers, sah das Haus meiner Kindheit, und einen Moment lang war ich glücklich. Ich merkte, daß ich lächelte.
Warum?
Ich hatte keine Zeit, mich mit diesem Rätsel zu befassen: Auf der Straße strampelte in rasantem Tempo ein Radfahrer auf uns zu. Als er näher kam, sah ich, daß er jung war, um die Dreißig, und sehr groß. »Wer ist das?« fragte ich Jagat Narain. Der Radler starrte finster zu mir hoch, während er in die Pedale trat.
»Ach, das ist nur Kirpal Singh. Er war heute auf den Feldern von Tupa Nahar. Wir spritzen dort gegen die Brandpilze.«
Kirpal Singh war jetzt vor dem Haus angelangt. Er knallte sein Fahrrad hin, und kurz darauf hörten wir ihn die Treppe heraufpoltern. Noch bevor er aufs Dach trat, rief er schon: »Jagate! Wer sind diese Leute?« Nikhil begann mit seiner Geschichte von unserer Ackerlandsuche, doch Kirpal Singh wollte nichts davon wissen. »Saab«, sagte er heftig atmend, »Sie müssen hier weg. Niemand darf ohne die Erlaubnis unseres Saab auf diesen Hof.« Er warf Jagat Narain einen verbitterten Blick zu.
»Die kommen auch aus Delhi«, sagte Jagat Narain, als erklärte das alles.
Aus der Nähe erwies sich dieser Kirpal Singh als ein grobschlächtiger Rüpel, dessen Haare in einem wilden Wust nach oben standen und dessen fuchtelnde, schmutzige und aufgesprungene Hände doppelt so groß waren wie meine. Er hatte einen abgetragenen grauen Paschtunenanzug an, und obwohl er völlig verdreckt war, gebärdete er sich wie ein Polizist oder ein Jawaan.
»Hören Sie mal, mein Freund«, sagte Nikhil. »Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Und dann rufen Sie Ihren Saab an, und wir unterhalten uns selbst mit ihm.«
»Es gibt hier kein Telefon, Saab.« Unter seiner oberflächlichen Höflichkeit war er sehr direkt, sehr bestimmt, geradezu aggressiv. »Und jetzt gehen Sie.«
»Ich habe ein Handy dabei, und der Empfang ist gut.« Nikhil hielt sein Mobiltelefon hoch. »Sehen Sie? Wir können mit ihm reden. Wie lautet seine Nummer?«
»Der Hof ist nicht zu verkaufen. Gehen Sie jetzt.«
Kirpal Singh hatte die Schultern hochgezogen und eine leicht geduckte Haltung eingenommen. Er war kampfbereit. Ich nickte Nikhil zu. »Okay, Yaar, okay«, sagte er. »Wir gehen. Kein Problem. Danke für den Chai. Hier ist meine Nummer, geben Sie sie Ihrem Saab, für den Fall, daß er doch interessiert ist.«
Er hielt Kirpal Singh eine Karte hin, die dieser schließlich unwillig entgegennahm. Dann gingen wir einer nach dem anderen die Treppe hinunter. Ich spürte diesen Trampel hinter mir, er atmete heftig. Warum war er so nervös? Er folgte uns bis ganz nach draußen, durch den Gang, die Galerie, das Tor. Nikhil ließ den Motor an und wendete, und ich wartete direkt an der Mauer. Zu meiner Rechten lag Kirpal Singhs Fahrrad auf dem Boden, so wie er es hingeworfen hatte. Ein großer Pestizidkanister war auf den Gepäckträger geschnürt. Auf
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