Der Pate von Bombay
Lächeln.
In diesem Moment begriff ich.
Inmitten der lärmenden Lebendigkeit der Stadt hörte ich mich sagen: »Sie wollen einen größeren Krieg.«
»Sehr gut, Ganesh. Einen größeren Krieg als den, auf den wir uns in deinen Augen vorbereitet haben.«
»Haben Sie eine ... eine Bombe gebaut?«
»Stell mir nicht solche Fragen, Ganesh. Die kann ich nicht beantworten. Ich habe dir doch gesagt, du weißt es bereits. Was würde ich mit so einem Ding wohl anstellen?«
»Sie zünden. In irgendeiner Stadt. In Mumbai.«
»Und wen würde man dafür verantwortlich machen?«
»Sie würden dafür sorgen, daß man eine muslimische Organisation dafür verantwortlich macht.«
»Sehr gut. Und dann?«
Dann? Blutvergießen. Mord und Totschlag. Falls es Spannungen an der Grenze gab, vielleicht Vergeltungsmaßnahmen. Möglicherweise würde es selbst ohne Spannungen zu einem Krieg kommen, zu einem echten Krieg, einem Krieg, der Millionen vernichten würde, einem Krieg, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Aber das waren alles bloß "Worte. Ich versuchte es mir vorzustellen, doch es gelang mir nicht. Ich spürte nur ein tiefes Loch in meinem Innern, eine so bodenlose Leere, daß sie ganz Mumbai hätte verschlucken können, das ganze Land, alles.
»Hören Sie«, sagte ich. »Sie sollten das nicht tun.«
»"Warum denn nicht?« fragte er. »Hast du Angst vorm Sterben? Du bist dem Tod so oft so nahe gewesen, daß du dich wohl kaum davor fürchten wirst. Und du weißt, daß du irgendwann sterben mußt, wenn nicht heute, dann morgen. Du hast sehr vielen Menschen ihr Grab geschaufelt, Ganesh, und irgendwann wird dir jemand dein Grab schaufeln. Das hast du mir selbst einmal gesagt.«
»Mein eigener Tod ist mir egal.«
»Aber der Tod von vielen nicht? Der Tod von ein paar tausend oder ein paar Millionen? Warum, Ganesh? Du hast selbst ein paar hundert Menschen umgebracht, mindestens. Was machen da ein paar mehr schon aus?«
Ich hatte darauf keine Antwort. Ich wußte nicht, warum, doch es machte etwas aus. Ich stellte mir vor, wie diese Stadt, dieser wuselnde Ameisenhaufen, von einer Feuersbrunst vernichtet wurde, sich krümmte, schwärzte, in sich zusammenfiel und verschwand. Sie führten ein erbärmliches Leben, diese wimmelnden Millionen. Wenn sie weg waren, nach dem gewaltigen, reinigenden Wind, der nicht nur diese Stadt erfassen würde, sondern auch alle anderen, würde es Raum für einen Neuanfang geben. Aus all den Predigten, die ich gehört hatte, aus Bruchstücken von Unterrichtsstunden und Fetzen von Sanskrit erwuchs mir die sichere Erkenntnis: Das war es, was Guru-ji wollte, die Auslöschung von allem, was ich kannte. Und ich hatte Angst. Ich bekam kein Wort über die Lippen.
Er verstand das. »Du bist schwach, Ganesh«, sagte er. »Trotz all meiner Bemühungen fehlt es dir an Stärke. Du bist selbstherrlich und brutal, doch das ist nur ein dünner Firnis über deiner Schwäche. Darunter bist du so sentimental wie eine Frau. Aber es ist nicht deine Schuld. Es ist die Grundverfassung des Menschen im Kaliyug, Ganesh. Die Vereinten Nationen, all diese verträumten Gutmenschen, die jeden Konflikt so schnell wie möglich beilegen wollen, verstehen nicht, daß manche Kriege geführt werden müssen, daß gemordet werden muß. Sie glauben, sie hätten dem Krieg ein Ende gesetzt, doch in Wirklichkeit sorgen sie nur für einen dauerhaft schwelenden Kriegszustand. Sieh dir Indien und Pakistan an, die einander seit über fünfzig Jahren zusetzen. Anstelle des einen entscheidenden, glorreichen Kampfes haben wir eine ewige, schmutzige Quälerei. Diese wohlmeinenden Idioten lassen sich endlos über den Fortschritt der Menschheit aus, doch sie begreifen nicht, daß Fortschritt nicht ohne Zerstörung möglich ist. Jedem Goldenen Zeitalter geht eine Apokalypse voraus. So ist es immer gewesen, und so wird es wieder sein. Doch wir sind zu feige geworden, um der Zeit ihren Lauf zu lassen. Wir blockieren ihre Räder, hemmen sie durch unsere Angst. Denk mal darüber nach, Ganesh. Seit über fünfzig Jahren vermeiden wir den Krieg an unseren Grenzen und erdulden statt dessen tägliche kleine Demütigungen und tägliches vereinzeltes Blutvergießen. Man hat uns entehrt und herabgewürdigt, und wir haben uns daran gewöhnt, mit dieser Schmach zu leben. Wir sind zu einem ganzen Volk verzagender Arjuns geworden, die vor dem fliehen, was wir als unsere Pflicht erkennen. Doch genug. Jetzt werden wir kämpfen. Diese Schlacht ist unumgänglich.«
»Aber
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