Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
Chandar nahm ein Flugzeug nach Bhopal, und ich flog abends mit dem Geld nach Bombay. Am Flughafen erwartete mich ein Auto und in Juhu ein neues sicheres Haus. Wir kämpften uns gerade durch den Verkehr auf der Schnellstraße, da hörte ich mein Handy klingeln, gedämpft, aber deutlich. Es war mein Guru-ji-Handy, mein neuestes mit Verschlüsselungstechnik ausgestattetes Satellitentelefon. Ich schrie den Fahrer an, er solle sofort an den Rand fahren, schlug ihm auf den Hinterkopf, weil er uns zu langsam durch den mehrspurigen Verkehrsstrom manövrierte, und zerrte ihn dann aus dem Wagen, damit er mir den Kofferraum aufmachte. Ich wußte genau, wo das Handy war, im Außenfach meiner Schultertasche, und endlich hatte ich es am Ohr.
    »Hallo?«
    »Du hast mein Geld gestohlen.«
    »Ja.« Es war Guru-ji. Die vertraute Stimme, dieses sonore Dröhnen, das so wohltuend, so beruhigend war. Ja, da war diese typische exakte Artikulation jedes einzelnen Wortes -in diesem Fall besonders des letzten. Endlich, nach meiner ewigen Sucherei, hatte ich Guru-ji gefunden, ich hatte ihn wieder zu mir zurückgeholt. »Wo sind Sie?«
    »Warum hast du das Geld gestohlen, Ganesh?«
    »Warum sind Sie weggegangen?«
    »Ich habe dir doch gesagt, daß wir uns nie mehr wiedersehen würden.«
    »Aber nicht, daß Sie verschwinden würden.«
    »Ganesh«, seufzte er. »Ganesh. Du hast die grundsätzliche Lehre, die ich dir zu vermitteln versucht habe, immer noch nicht verstanden, nach all den Jahren. Wir sind alle längst füreinander verloren. Sich in Liebe aneinanderzuklammern bedeutet, die Liebe schlechthin zu verraten.«
    »Hehre Worte«, sagte ich. »Hehre, hehre Worte.« Da stand ich nun, ich, Ganesh Gaitonde, stand an der Schnellstraße, wo mich Hunderte von Männern und Frauen auf ihrem Weg nach Hause oder zur Arbeit sehen konnten, und stampfte mit den Füßen auf. Scharen schnatternder Schulmädchen in blauen Röcken kamen vorbei und sahen die Tränen, die ich mir aus den Augen wischte, doch das war mir egal. »Ich habe immer wieder versucht, Sie anzurufen, und Sie haben nie reagiert«, sagte ich. »Erst jetzt, wo Sie ein paar Dollar verloren haben, rufen Sie mich an.«
    »Es geht nicht um das Geld, Ganesh«, sagte Guru-ji. »Sondern um die Umstände, die mir das bereitet. Ich befinde mich mitten in einem großen Projekt. Ich brauche dieses Bargeld, um gewisse Zahlungen zu leisten. Mir persönlich ist das Geld egal, aber der Rest der Welt will harte Währung.«
    »Was ist das für ein Projekt?«
    »Ein sehr großes Projekt, Ganesh, soviel kann ich dir sagen.«
    »Haben Sie mich in dieses Projekt einbezogen?«
    »Jeder ist darin einbezogen.«
    »Spielen Sie keine Spielchen mit mir. Antworten Sie. Antworten Sie.« Ich rang um Fassung, sprach leiser. »Sie haben uns radioaktives Material transportieren lassen. Streiten Sie das nicht ab. Meine Männer sind daran gestorben.«
    Er seufzte. »Ja, Ganesh. Das stimmt durchaus.«
    »Was haben Sie damit vor?« Er schwieg. »Sagen Sie es mir, dann gebe ich Ihnen das Geld zurück.«
    »Wirklich, Ganesh? Wirst du es mir wirklich zurückgeben, wenn ich es dir sage?«
    »Ja«, sagte ich. »Das werde ich.«
    »Ich bezweifle, ob du den Mut dazu haben wirst. Aber warum fragst du überhaupt, Ganesh? Ich glaube, du weißt die Antwort schon.«
    Einen Moment lang war ich empört, daß dieser alte Mann meinen Mut in Zweifel zog. Ich hatte so viel für ihn riskiert. Doch ich bremste mich, sagte nichts. Wofür würde ich nicht den Mut haben? Ich drehte mich um und schaute auf die wirren Dächer eines Bastis, das sich unterhalb der erhobenen Straße erstreckte, und auf die zusammengedrängten Gebäude dahinter. Dieser Mann hatte sich ursprünglich an mich gewandt, weil er Waffen wollte. Er bereitete einen Krieg vor. Ich hatte keine Angst vor Gefechten, ich hatte mich mein Leben lang in den Kampf gestürzt. Doch wenn sein Krieg ausbrach, würde es ein gewaltiger sein, der in jedem Winkel Indiens toben würde. Es wird schmerzhaft sein, hatte er mir gesagt, doch hinterher wird es uns besser gehen. Wir werden Frieden finden. Und dann fiel mir ein, wie ich auf dem Dach des von ihm nah der Grenze erbauten Hauses gestanden und endloses Grün gesehen hatte und wie mich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, eine Ahnung von vollkommener Glückseligkeit überkam - alles war frisch und neu und makellos, ich selbst wieder jung und voller Hoffnung, die Welt neugeboren und unermeßlich. Und ich erinnerte mich an mein

Weitere Kostenlose Bücher