Der Pate von Bombay
dann wird alles vorbei sein«, sagte ich mit der zitternden Stimme eines Kindes. »Alles.«
»Genauso ist es. Jede große religiöse Tradition prophezeit dieses gewaltige Feuer, Ganesh. Wir wissen alle, daß es kommen wird.«
»Aber warum? Warum?«
»Du hast es mir selbst gesagt, als du deinen Film gedreht hast. Wie hieß er doch gleich?«
»International Dhamaka.«
Er gluckste wieder vor Freude. »Genau, Dhamaka. Damals hast du mir gesagt, jede Geschichte verlange nach einem Höhepunkt, und eine große Geschichte verlange nach einem großen Höhepunkt. Lies die Zeichen, die auf dieser Welt, die Zeichen, die in unserem Leben allüberall zu finden sind, und du wirst erkennen, was nötig ist. Diese Welt verlangt nach einem Ende, Ganesh. Nach einem Abschluß, damit sie wieder neu beginnen kann. Du hast bloß Angst, weil du das Ganze von innen heraus betrachtest. Tritt hinaus, schau noch einmal hin, und du wirst erkennen, daß kein anderes Ende möglich ist.«
»Ich werde Sie aufhalten.«
»Wie denn, Ganesh? Ich habe von dir gelernt, wie man Sicherheitsvorkehrungen trifft. Und du warst ein guter Lehrer. Du hast mich einmal gefunden, vor langer Zeit, weil meine Leute nicht aufgepaßt haben. Aber du wirst mich kein zweites Mal finden. Auch nach monatelangem Suchen hast du mich nicht gefunden. Du kannst nichts machen. Niemand kann etwas machen. Die Zeit wird ihren Lauf nehmen. Das Unvermeidliche wird geschehen. Du hast mein Geld gestohlen, doch damit hast du nur verzögert, was in jedem Fall geschehen wird. Das ist alles.«
»Was wollen Sie also von mir?«
»Kämpf nicht gegen mich. Stell dich nicht gegen die Mechanismen der Geschichte. Gib mir mein Geld zurück.«
»Nein. Ich will an dieser Sache nicht beteiligt sein.«
»Du bist längst daran beteiligt, Ganesh. Du hast das Ganze erst möglich gemacht, du hast einen Teil der Vorbereitungen selbst durchgeführt, und was immer du jetzt auch tust, du wirst dazu beitragen, daß es passiert. Ob du handelst oder nicht, der Krieg wird kommen, das Blut wird fließen. Du kannst den Gang der Dinge nicht aufhalten. Du kannst dich selbst nicht aufhalten, Ganesh.«
»Ich werde es ... ich werde es der Polizei melden.«
»Und du meinst, die werden dir glauben? Einem Gangster, der sie hundertmal angelogen, der tausend Männer umgebracht hat?«
»Ich werde noch mehr von Ihren Sadhus umbringen.«
»Irgendwann müssen sie ohnehin alle sterben. Was machen da schon ein paar Tage aus?«
Ich hatte nichts, womit ich ihm drohen konnte.
»Was machen überhaupt ein paar Tage aus, Ganesh?« fragte er. »Je schneller diesem Schmutz, in dem wir leben, ein Ende bereitet wird, desto besser. Denk an die Zukunft, Ganesh. Die Zukunft. An das, was danach kommt.«
Dann klickte es, und er war weg.
Die Autos rasten an mir vorbei, zogen ihre blutroten Lichtspuren durch die Dämmerung. Mir wurde schwindelig. Und in diesem Moment dachte ich nicht mehr an meine Jungs, an Millionen anderer Menschen, an das Land oder die ganze Welt. Ich dachte nur an mich. Dieses schwache metallische Knacken in meinem Ohr fuhr mir durch den Magen und ließ mich allein zurück. Ich wußte, daß er nicht wiederkommen würde. Ich würde ihn nicht finden, und er würde nicht mehr anrufen. Ich war allein. Ich war wieder Ganesh Gaitonde, der mit einem Messer unterm Hemd allein in die unbekannte Welt hinauszog. Galle stieg mir in den Mund. Ich drehte den Kopf zur Seite, spuckte aus, und eine bräunliche Flüssigkeit rann das weiße Mäuerchen hinab, das parallel zur Straße verlief. Während ich zusah, spürte ich, wie abermals etwas in mir zerbrach, wie sich in meinem Innern ein endloser, scharfkantiger Abgrund auftat, in den ich hinunterstürzte. Ich war allein. Auf der anderen Straßenseite stieg Rauch von einem Müllhaufen auf. Ein heftiges Zittern erfaßte mich, ich bebte an Armen und Beinen und Schultern. Der Fahrer vermied es sorgfältig, mich anzusehen, und wir fuhren weiter. Ich lag auf dem Rücksitz und hielt mich selbst umschlungen.
Das neue sichere Haus in Juhu war ein Apartment im oberen Geschoß eines zweistöckigen Bungalows mit Blick auf den Strand. Bunty hatte das Gebäude durchchecken und sichern lassen und ein Wachteam dort postiert. Die Jungs veranstalteten eine kleine Führung mit mir, zeigten mir die beiden Hinterausgänge mit jeweils eigener, ebenfalls bewachter Treppe. Ich ging nach oben, machte zwei Türen hinter mir zu und ließ mich aufs Bett fallen. Du bist völlig erschöpft, sagte ich mir.
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