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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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klappe, werde er außer seinen Beinen noch etwas anderes verlieren.
    »Aber Bhai«, wandte er ein. »Wollen Sie denn nicht nach Hause?«
    »Nach Hause? Wo soll das sein?«
    »In Thailand, Bhai. Auf Ihrer Yacht. Jetzt, wo die Mission abgeschlossen ist.«
    Ich sagte ihm, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern, und legte auf. Sollte ich wieder aufs Wasser? Weit weg, in die Sicherheit? Aber wo gab es schon Sicherheit? Klar, ich konnte natürlich nach Neuseeland fahren oder auf irgendeine noch fernere Felseninsel. Aber wenn das große Feuer kam, wenn Guru-jis gewaltige Zerstörungswelle erst einmal übers Land rollte, was würde dann noch bleiben?
    Ich ging in meinem Zimmer auf und ab, lief im Kreis, ballte die Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder, versuchte den Krampf in meinen Schultern zu lösen. Wo würde man zu Hause sein, wenn man kein Zuhause mehr hatte? Konnte man fern der Heimat eine Heimat finden, wenn es keine Heimat mehr gab? Wonach würde man sich sehnen, wovon würde man träumen, wenn man in den Schlaf sank? Was würde man antworten, wenn jemand einen fragte: Wo kommen Sie her? Nein, ich konnte nicht weggehen, ich konnte nirgendwohin. Ich würde hierbleiben, in der Nähe des Schlachtfelds, ja auf dem Schlachtfeld, und ich würde Guru-ji Einhalt gebieten. Er war davon überzeugt, daß mir das nicht gelingen würde - »Du kannst den Gang der Dinge nicht aufhalten« -, aber ich war Ganesh Gaitonde. Er mochte in der Zeit vor-und zurückschauen können, aber ich war dem Schicksal schon oft entronnen. Ich hatte über das, was geschrieben stand, triumphiert, hatte seinen Kurs geändert. Ich hatte überlebt. Ich würde wieder überleben. Ich würde meine Heimat retten. Und um das tun zu können, mußte ich mich in vollkommener Sicherheit befinden.
    Bunty kam dem Ablauf seiner Frist um drei Stunden zuvor. Er rief mich um sechs an und ließ mich um halb sieben abholen. Ich hatte kein Auge zugetan, doch ich fühlte mich munter und stark, als wir durch die erwachende Stadt fuhren. Ich sah zu, wie sich ein Rikschafahrer von seiner Rückbank hochrappelte, wie eine Mutter ihren stolpernden Sohn zu einer öffentlichen Toilette trieb. Ein paar ältere Menschen gingen in einem Park spazieren, flott die Arme schwingend. Die ersten Sonnenstrahlen erleuchteten die Baumwipfel. Auf irgendeinem Radiosender lief ein Bhajan, und während wir eine lange Reihe von Kholis passierten, hörten wir immer wieder Fetzen davon.
    Dann bogen wir nach links ab und hielten auf einen Marktplatz zu. Die meisten Geschäfte waren noch geschlossen. Nur ein gähnender Seth und sein Lehrjunge mühten sich mit einem Fensterladen ab und beachteten uns nicht, als wir neben dem weißen Würfel parkten, der mitten auf einem ansonsten leeren Grundstück stand. Ich ließ die Hand über die perfekte weiße Mauer gleiten, während wir zur Tür gingen, und fühlte mich gleich besser. Die technischen Daten kamen mir in den Sinn, die exakte Dicke der verstärkten Mauern, der Preis des Zements, den wir verwendet hatten. Einer von Buntys Jungs fuhrwerkte ewig mit dem Schlüssel herum, bis ich ärgerlich wurde und ihn zur Seite schob. Es war ein computergefertigter Schlüssel mit kleinen Vertiefungen auf beiden Seiten, den man, wenn man ihn halb ins Schloß geschoben hatte, ein wenig nach links drehen mußte, bevor man ihn ganz hineinsteckte. Das Schloß gab butterweich nach.
    »Okay«, meinte ich dann. »Sagt Bunty, daß ich ihn anrufen werde.«
    »Wenn Sie noch irgendwas brauchen, Bhai ...«
    Ich schob die schwere Tür zu - ich mußte mich mit der Schulter dagegenstemmen -, und plötzlich stand ich in willkommener absoluter Dunkelheit. Unter meinen Füßen hörte ich das leise Summen einer technischen Anlage, das Krächzen der Krähen draußen hingegen war verstummt, wie abgeschnitten. Aus den Bauplänen wußte ich, wo der Lichtschalter war, zu meiner Rechten an der Wand, doch ich wollte ihn noch nicht betätigen. Für den Moment war ich es zufrieden, von dieser Sicherheit umfangen zu sein, zu wissen, daß mich hier nichts belangen konnte. Meine Gedanken kamen zur Ruhe, ich stand einfach da.
    Jäh schrak ich aus meiner Träumerei auf. Ich wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, eine Minute oder eine halbe Stunde. Richtig geschlafen hatte ich nicht, aber irgendwie doch geruht. Ich setzte mich in Bewegung, schaltete das Licht an und öffnete die metallene Falltür mitten im Raum. Eine kurze Leiter führte in den Kontrollraum hinunter.

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