Der Pate von Bombay
drückte ab. Etwas sauste heulend durch die Luft und an meinem Kopf vorbei, und wir ließen uns alle fluchend fallen. »Maderchod«, stieß ich hervor. »Seid ihr okay?«
Sie nickten. Der Drucker hatte jetzt ein Loch, das Schloß der Kassette hingegen nur eine winzige Delle.
Jetzt wollten wir es wissen. Wir schauten erst einander, dann die glänzenden rundlichen Formen der Kassette an. »Holt mir eine Stange«, sagte ich. »Oder irgend so was.«
Wir bearbeiteten die Schlösser vierzig Minuten lang mit Hacken und Spaten, bis ein Spalt entstanden war und man die Schweißnaht sah, die sich um die ganze Kassette zog. Dann schoben wir zwei Brechstangen in den Spalt und drückten in entgegengesetzten Richtungen. Kreischend sprang der Deckel auf, und wir fielen alle zu Boden. Und verstummten.
Die Stahlkassette war zu drei Vierteln voll, und zwar mit Dollarscheinen. Ich streckte die Hand aus - sie war abgeschürft, blutete und zitterte - und griff nach einem der kleinen Bündel, die jeweils von einer Banderole umgeben waren. Es waren lauter Hundert-Dollar-Scheine.
»Wieviel ist es, Bhai?« fragte Nikhil.
»Sehr viel.«
Nun trieb ich die Jungs zur Eile an. Wir nahmen die Kassette mit, machten die Falltür zu, gingen zum Haus zurück. Ich sorgte dafür, daß sich alle unter der Pumpe wuschen, bevor wir ins Auto stiegen. Wir würden am frühen Morgen in der Nähe der Grenze unterwegs sein, und ich wollte keine Schießerei wegen eines blutigen Hemdes riskieren, falls man uns anhalten würde. Was Chandars Hand betraf, die mittlerweile zu einem Fußball angeschwollen war, konnten wir nicht viel unternehmen. Er hatte jetzt auch noch Fieber bekommen. Wir hüllten ihn in eine Decke, und er legte sich auf die Rückbank. Wir waren startklar. Jedenfalls fast. Eins blieb noch zu tun, wir wußten es alle. Jatti sprach es schließlich aus.
»Was ist mit dem Alten, Bhai?«
Ja, der Alte. Er war senil und halb verrückt, aber er hatte unsere Gesichter gesehen. Im Haus lag eine Leiche, und der Alte würde uns vielleicht damit in Verbindung bringen. Ich hatte den Jungs beigebracht, was in solch einer Situation zu tun war. »Ich übernehme das«, sagte ich und ging wieder hinein, an der schnaufenden Kuh vorbei, durch den Gang -auf das langsame Tropfen des Wassers zu - und in den Innenhof. Ich öffnete eine Tür, und da saß Jagat Narain auf dem Bett, die Hände auf den Oberschenkeln, und guckte mich an. Er erwartete mich.
»Kommen Sie«, sagte ich. »Wir fahren jetzt. Sie können herauskommen.«
Er rührte sich nicht. Ich ging hinein, nahm ihn am Arm, und nun stand er bereitwillig auf. Ich führte ihn hinaus, und als wir über die hohe Schwelle stiegen, flüsterte er: »Wieviel Uhr ist es?«
»Gleich fünf.«
»Morgens oder abends?«
Im Licht der Sterne konnte ich jetzt seine hohe Stirn und seinen dichten weißen Schopf sehen. In seinem gesprungenen Brillenglas spiegelte sich, zweigeteilt, mein Gesicht. »Morgens«, erwiderte ich, plötzlich von zärtlichen Gefühlen für die Hilflosigkeit des Alters übermannt. Er wußte nicht, ob es Tag oder Nacht war, wo er sich befand, wo er hinging. Für ihn war das alles eins. »Schauen Sie, da oben ist der Mond.«
Er hob das Gesicht und tappte mit emporgereckten Armen von mir weg. »Ja«, sagte er und deutete mit beiden Händen nach oben. Ein kleines Stückchen der Mondsichel war zu sehen.
Ich trat einen Schritt zurück, hob die Ghoda, zielte und drückte ab. Einen Moment lang war ich geblendet, dann sah ich den Alten mit ausgebreiteten Armen auf dem Ziegelboden liegen. Ich beugte mich über ihn und schoß ihn noch einmal in den Kopf.
Und dann rannte ich los. Ich weiß nicht, warum, doch ich rannte die ganze Strecke bis zum Auto. Ich sprang hinein und mußte nichts zu Nikhil sagen, er drehte das Lenkrad um, und schon fuhren wir. Doch selbst durch den aufspritzenden Schotter und den plötzlichen Abgasgestank hindurch folgte mir der Geruch nach Mogra, folgte mir bis zum Kanal. Wir rasten durch die Dämmerung und kamen wohlbehalten in Amritsar an. Wir machten nur kurz bei einem Arzt halt, dann teilte ich das Team auf und schickte alle ihres Weges. Dies war das Ende unserer Mission. Zwar hatten wir Guru-ji nicht gefunden, aber dafür etwas anderes, das wertvoll genug war, um beträchtliche Aufmerksamkeit zu erregen. In der Kassette befanden sich genau 984322 Dollar. Die Jungs sprachen von einer Million, aber tatsächlich war es etwas weniger. Nikhil und Jatti fuhren mit dem Zug nach Delhi,
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