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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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noch niemandem gegeben. Homi Mehta aber war alt und weise, und er hatte Argusaugen.
    »Hier, Onkel«, sagte Sartaj. »Danke.«
    »Okay. Vierzig insgesamt.« Mehta klopfte auf die Stapel.
    Sartaj erhob sich. »Gut. Bis nächstes Mal dann.«
    »Nächstes Mal bringen Sie mir etwas, das ich für Sie anlegen kann. Denken Sie ans Alter.«
    Sartaj winkte Mehta zu und verließ ihn und das Geld. Während seiner Ehe mit Megha hatte Mehta immer gemeint, er solle für seine künftigen Kinder sparen. Nach der Scheidung hatte er statt dessen angefangen, ihn an das Alter und das Verrinnen der Zeit zu erinnern. Anscheinend sehe ich allmählich richtig alt aus, dachte Sartaj.
    Andere Kinder waren jetzt in dem Laden, zwölf- bis dreizehnjährige, die mehr Zurückhaltung an den Tag legten. Sie tranken Pepsi und Coca Cola und tuschelten miteinander. Auf halbem Weg zu seinem Wagen kehrte Sartaj noch einmal um und kaufte sich ein Chocobar. Es gab inzwischen andere, ausgefallenere Eiscremesorten, aber Sartaj mochte den vertrauten, leicht öligen Kwality-Schokoladengeschmack mit Vanille, den Geschmack seiner Kindheit. Die Teenager stießen einander an: Seht mal den komischen Sardar-Polizisten, der mampft ein Chocobar. Sartaj ging lächelnd weiter, und bis er beim Jeep angelangt war, leckte er schon an dem hölzernen Stiel. Er zerbiß ihn, wie er es als Kind getan hatte, schnippte ihn fort und fuhr los.
    Inzwischen wand sich der abendliche Stoßverkehr durch die Straßen und gerann zu einer festen Masse. Sartaj richtete sich auf eine lange Fahrt ein. Die Luft flimmerte über den Autodächern, und plötzlich trat Stille ein: Die Motoren wurden abgestellt, bis der Verkehr wieder in Gang kam. Sartaj löste seinen schweißnassen Rücken von der Lehne, stützte die Arme auf die Knie, ließ den Kopf hängen und betrachtete seine staubigen schwarzen Schuhe. Die Sonne stach ihm auf Schulter und Nacken, aber es gab kein Entrinnen. Ein Busfahrer beobachtete ihn ruhig von seinem hohen Sitz herab, doch als Sartaj zu ihm aufsah, wandte er den Blick ab. Jenseits des Busses stand eine Schaufensterpuppe mit vorgeschobener Hüfte hinter der Scheibe. Sartajs Blick folgte den Auslagen der Geschäfte, bis sie mit dem gleißenden Himmel verschmolzen, und er stellte sich die Insel in ihrer ganzen endlosen Länge vor, stellte sich vor, wie dort im abendlichen Gewühl alles zum Stillstand kam, die Blechlawine alles verstopfte, um sich dann ruckweise wieder in Bewegung zu setzen. Er seufzte, nahm sein Handy aus der Brusttasche und wählte.
    »Ma?« sagte er.
    »Sartaj!«
    »Peri pauna 487 , Ma.«
    »Jite raho 298 , Beta. Ich hab in der Zeitung über dich gelesen.«
    »Ja, Ma.« Das Geräusch anspringender Motoren lief die Straße entlang, und Sartaj drehte den Zündschlüssel.
    »Warum war kein Foto von dir dabei, wo du doch so einen Schwerverbrecher geschnappt hast?«
    »Auf die Arbeit kommt es an, Ma«, erwiderte Sartaj, belustigt über sie und seine eigene Prahlerei. »Nicht auf irgendwelche Fotos in der Zeitung.« Er wartete gespannt auf eine scharfe Antwort, aber sie wechselte das Thema.
    »Von wo aus rufst du an?«
    »Von wo? Aus Mumbai, Ma.«
    »Nein, ich meine, von wo in Bombay.« Der Polizistenfrau entging nichts.
    »Ich fahre gerade von Worli zurück.«
    »Ah, also hast du jetzt endlich ein Handy?«
    »Ja, Ma.« Sie interessierte sich zwar nicht für technische Neuerungen, und einen Videorecorder wollte sie nicht, weil sie ihn nicht hätte bedienen können, aber daß Sartaj sich ein Handy zulegte, hatte sie sich schon lange gewünscht.
    »Und die Nummer?«
    Sartaj gab sie ihr und fügte hinzu: »Aber denk dran: Keine Anrufe während der Dienstzeit.«
    Sie lachte. »Ich hab auch mal gearbeitet, bevor du auf die Welt gekommen bist. Und du rufst mich doch selbst immer von der Arbeit aus an. Jetzt zum Beispiel.«
    »Ja, ja.« Bestimmt saß sie in dem kleinen Wohnzimmer mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa und hielt sich mit ihrer kleinen Hand den schwarzen Hörer ans Ohr. Er hörte sie lächeln. Sie hatte abgenommen im letzten Jahr, doch trotz der feinen Falten und des weißen Haars sah sie manchmal noch immer aus wie das schlanke junge Mädchen, das Sartaj von Fotos kannte. »Im Moment arbeite ich aber nicht. Ich stecke im Stau.«
    »Das ist kein Leben mehr heutzutage in Bombay. Zu teuer. Und zu viele Menschen.«
    Sie hatte recht, aber wo sollte man sonst hin? In vielen Jahren würde Sartaj vielleicht irgendwo anders ein kleines Haus haben. Im Moment aber

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