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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Ein Schluckaufwand sich seinen Hals hinauf, aber er wollte den Mund nicht öffnen.
    »Inspektor-saab«, sagte einer der Gehilfen. »Lange nicht gesehen.« Er hatte in einem Hindi-Roman gelesen, und sein Kollege schrieb einen Brief. Beide erhoben sich.
    »Es riecht schlimmer hier als letztes Mal«, sagte Sartaj, als er an ihnen vorbeiging. Er sprach vorsichtig und sehr deutlich.
    »Are, Saab«, erwiderte der Mann mit dem Roman. »Richtig schlimm riecht es erst, wenn die Klimaanlagen wieder mal ausfallen.«
    »Oder wenn es regnet und das Wasser durch die Wand kommt«, sagte der andere voller Genugtuung. »Dann wird's hier erst richtig lustig.«
    Irgendwie, dachte Sartaj, befriedigt uns die Vorstellung, wie schlimm etwas werden kann und daß es zwangsläufig noch schlimmer kommen wird. Und doch überleben wir, und die Stadt stolpert weiter voran. Vielleicht bricht irgendwann einmal alles zusammen. Auch in diesem Gedanken lag eine gewisse Befriedigung. Soll der ganze Scheiß doch in die Luft fliegen.
    Dr. Chopra nickte seinen Gehilfen zu. Die schimmernde neue Edelstahltür zum Kühlraum versprach Hightech und Sterilität. Der Romanleser berührte erst den mächtigen Türgriff, dann seine Kehle und sprach ein stummes Mantra. Er umfaßte den Griff, lehnte sich zurück, und die Tür schwang auf.
    »Kommen Sie«, sagte Dr. Chopra.
    Drinnen lagen die Leichen, wie Sartaj sie in Erinnerung hatte, in wirren Reihen, dicht an dicht, Schulter an Schulter, Schulter über Schulter, von einem Ende des langgestreckten Raumes bis zum anderen, für die Autopsie vorn der Länge nach aufgeschnitten und mit schwarzem Faden und groben Stichen wieder zugenäht. Dunkle rostfarbene Haut, trüb wie Schlamm, starres, stacheliges Schamhaar. Es ist gar nicht richtig kalt hier drin, dachte Sartaj. Kühlraum nennt sich das, dabei ist es in manchen Restaurants kühler als hier, im ersten Stock der Delite Dance Bar zum Beispiel. Die Klimaanlage gab ein dumpfes, stotterndes Rauschen von sich.
    »Die Damen sind da drüben«, sagte Dr. Chopra.
    Selbst im Sektionssaal, jenseits aller Fleischeslust, wurde die Form gewahrt. Die Damen lagen hinter einer Metalltür in einer Art Kabine aufgestapelt. Die Gehilfen griffen zu, schichteten die Leichen um, zogen und zerrten, und irgend etwas stieß gegen die Tür und ließ einen fröhlichen Gongschlag ertönen. Sie arbeiteten ohne Handschuhe, und Sartaj hoffte nur, sie würden sich danach die Hände waschen.
    »Saab«, sagte der Briefschreiber. Er hatte sie gefunden.
    Sartaj trat zurück. Seine Schuhe klebten am Boden.
    Die Vorderseite der Toten wies den üblichen langen Schnitt auf. Die Lippen hatten das Blaßblau brüchiger alter Kerzen und traten von den oberen Zähnen zurück. Das Autopsiefoto in der Akte hatte die Wangenknochen abgeflacht und die scharfe Nase unsichtbar gemacht. Eine kleine Vertiefung ließ jedoch darauf schließen, daß das Nasenbein einmal gebrochen war. Im Tod wirkte die Frau unscheinbar, aber sie hatte muskulöse Schultern, und Sartaj sah sie in der kessen Haltung einer Tänzerin vor sich, strahlend und stolz auf ihre Figur.
    »Unbekannte Tote«, las Dr. Chopra von einem langen Blatt Papier ab. »1,64 m, 55 kg, schulterlanges schwarzes Haar, Augen schwarz, 10 cm lange Narbe am linken Knie, letzte Nahrungsaufnahme ca. 8 Stunden vor Todeseintritt, Todesursache einzelnes Schußtrauma am Sternum, Eintrittswinkel schräg nach oben, Austritt 4. Thoraxwirbel, massive Schädigung von Lunge und Rückenmark. Tod trat sofort ein.«
    Sofortiger Tod. Sartaj fragte sich, ob sie ihn hatte kommen sehen, ob sie den erhobenen Lauf und darüber Gaitondes gerötetes Auge gesehen hatte. »Keine besonderen Merkmale außer der Narbe?«
    »Nein.«
    »Gut.« Manchmal verriet der Körper eines Verstorbenen Dinge, die man vorher nicht gewußt hatte. Doch die Vergangenheit der Frau war kurz gewesen, das Leben hatte sie noch kaum gezeichnet.
    »Und jetzt Gaitonde.« Dr. Chopra wandte sich ab.
    »Gaitonde, ja.«
    Sartaj folgte Dr. Chopra den schmalen Durchgang zwischen den Leichen entlang. Flüssigkeiten liefen über den Boden, helles Eiweiß und dicke schwärzliche Absonderungen. Vorsichtig setzte Sartaj einen Fuß vor den anderen. Gaitonde lag in der Mitte einer Reihe, nur durch seinen zerschmetterten Kopf von den anderen zu unterscheiden. Das freiliegende Fleisch hatte sich schwarz verfärbt.
    »1,75 m, 68 kg, hat zwei Schußverletzungen überlebt.« Dr. Chopra zeigte sie Sartaj. »Eine interessanterweise am Gesäß.

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