Der Pate von Bombay
Schlaf auskam, ebenso wie für seine erstaunlichen Nickerchen. Ungeachtet ihrer zwiespältigen Gefühle für Parulkar war Ma entzückt von seinen Worten über ihren lieben Verstorbenen, über seine Gaben, sein Engagement. Sie schnitt das Gemüse mit neuem Elan, sie lachte und sagte, sie erinnere sich an die Woche damals und an den Entführungsfall, an dem sie gearbeitet hatten.
»Das war doch der Onkel, der das Baby entführt hat«, sagte sie, und die beiden plauderten weiter über längst vergangene Zeiten.
Parulkar warf einen Blick auf seine Armbanduhr, und Sartaj nickte. Es war Viertel vor drei. Er ging ins Schlafzimmer, nahm sein Handy und rief Iffat-bibi an. Natürlich kannte sie seine Nummer inzwischen, aber das Spiel mußte gespielt werden. »Also?« sagte sie, und Sartaj sagte seinen Text auf.
In der Küche erzählte Parulkar unterdessen schmeichelhafte Geschichten von Sartajs sportlichen Erfolgen, und Ma lächelte. Zu Parulkars größten Talenten gehörten sein enormes Gedächtnis und sein lockerer Charme. Man konnte sich seinen besorgten Fragen nach dem Wohlbefinden des anderen, seiner genauen Kenntnis der Vergangenheit und der Hoffnungen seines Gesprächspartners einfach nicht verschließen. Zu dritt standen sie an der Küchentür, ein vertrautes Grüppchen. Parulkar erkundigte sich nach Mas Gesundheit, nach der Instandhaltung des Hauses und Papa-jis Pensionszahlungen. »Sollten einmal Probleme auftauchen, Bhabhi-ji, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Sartaj kann Ihnen jederzeit meine private Handynummer geben.«
Ma war äußerst gesprächig. Sie fragte Parulkar nach seinen Töchtern und deren Kindern, und Parulkar erzählte stolz von ihren diversen Freuden und Erfolgen. Auch der geschiedenen Tochter (ein Glück, daß sie diesen trunksüchtigen Verschwender los sei) gehe es wieder gut, sie habe eine Schneiderei aufgemacht. Anfangs habe sie ihre modernen Salvar-kamiz' und ihre schicken Ghagras nur an die Frauen der Siedlung verkauft, aber inzwischen kämen die Kundinnen sogar aus Shivaji Park zu ihr. »Und das alles«, sagte Parulkar, »hat sie allein geschafft, fast ganz ohne meine Hilfe. Dabei war sie so ein Hausmütterchen, hat sich immer nur mit den Kindern beschäftigt, konnte nicht mal einen Scheck ausstellen. Und jetzt gehen Tausende von Rupien durch ihre Hände, und sie hat vier Schneidermeister, die den ganzen Tag bei uns im Haus sitzen. Und sie redet davon, in der Nähe einen Laden zu kaufen.«
»Ja, die Welt hat sich verändert«, sagte Ma. »Die jungen Mädchen sind heutzutage sehr tüchtig.«
»Ja, ja, Bhabhi-ji, was hat sich allein zu unseren Lebzeiten nicht alles verändert!«
Ma zeigte auf die geschnittenen Zwiebeln und den Blumenkohl. »Das braucht nicht lange.«
»Egal, wie lange es braucht, Bhabhi-ji«, sagte Parulkar, »ich muß es einfach haben. Ich versuche zwar, Ol und Gebackenes zu meiden, aber für Ihre herrlichen Pakoras muß ich eine Ausnahme machen. Nur heute und nur, weil ich gerade hier in Pune bin.«
Ma beantwortete diese galanten Worte mit einem erfreuten Nicken. »Ab und zu darf man schon mal Gebackenes essen. Aber unser Sartaj, der ernährt sich so schlecht. Ständig dieses fette Restaurantessen - deshalb sieht er auch so müde aus.«
»Ja, ja, Bhabhi-ji, ich sag ihm immer wieder, das ist kein Leben. Was auch passiert ist - ein junger Mann sollte nicht allein sein. Ein Mann braucht eine Familie.«
Beide sahen Sartaj wohlwollend und prüfend an wie gütige Ärzte, die bei einem besonders widerspenstigen Patienten nach Anzeichen der Besserung Ausschau halten. Sartaj hätte etwas sagen müssen, aber er war innerlich weit weg, als trennte ihn eine Kluft von den beiden, als hätte es einen Bruch gegeben, der ihn weit fortgeschleudert hatte. Irgendwie sahen sie aus wie auf einem alten Bild, als ließe sie der orangefarbene Schein der Nostalgie schon jetzt unwirklich erscheinen. »Ja«, sagte er.
»Was, ja?« fragte Parulkar.
Da ertönte das altmodische Schnarren des Telefons.
»Telefon!« rief Sartaj erleichtert und erschrocken. Er schlängelte sich zwischen den Koffern durch. »Hallo?«
»Geben Sie weiter, Saab.« Die Männerstimme klang selbstbewußt, aggressiv.
»Es ist für Sie, Sir.«
»Oh«, sagte Parulkar, »okay.« Er ließ sich Zeit. Er nahm noch einen tiefen Schluck Bier und wischte sich mit einem Taschentuch die Hände ab.
»Sie können da drin telefonieren, Sir. Im Schlafzimmer.«
Parulkar nickte und ging. Es gefiel Ma nicht, daß Parulkar ihr
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