Der Pate von Bombay
die sie behalten wollte. Sartaj mochte diese geduldige Aushöhlung und Entsorgung ihres gemeinsamen Lebens nicht mehr mit ansehen. »Ich geh ein bißchen spazieren«, sagte er.
Sie nickte und machte sich am widerspenstigen Schloß des nächsten Koffers zu schaffen.
»Werden die Sachen den ganzen Tag hier herumliegen?« fragte Sartaj.
»Die Arbeit muß nun mal gemacht werden. Warum?«
Sartaj konnte ihr Parulkars Besuch unmöglich ankündigen, und so zuckte er nur die Schultern. »Soll ich dir was vom Markt mitbringen?«
Aber sie brauchte nichts. Sie wirkte in jeder Beziehung selbständiger, als er sie aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte. Damals hatten ihr Papa-ji, die Dienstboten und manchmal auch die Nachbarn Dinge holen und bringen, Besorgungen für sie machen oder sie hierhin und dorthin begleiten müssen. Sartaj konnte nicht erkennen, ob sie sich tatsächlich verändert oder nur ihre Bedürfnisse und Wünsche so weit zurückgeschraubt hatte, daß sie im Grunde nur noch einen Menschen brauchte: sich selbst. Er zweifelte nicht an ihrer Liebe zu ihm, an ihrem Glauben an Vaheguru, aber selbst diese Bindungen schienen sich zu lockern. Sie wollte nur noch nach Amritsar, und vielleicht machte sie sich auch schon für eine andere Reise bereit. Sartaj erschauderte.
Auf dem Weg zum Markt wimmelte es von weißhaarigen Frauen und Männern mit Jholas 295 voller Obst und Gemüse. Sartaj grüßte einige von ihnen, weil er sie aus dem Gurudwara oder von Spaziergängen mit Ma kannte. Die vielen Ruheständler, die hier wohnten, hatten bei ihren morgendlichen Einkäufen Zeit genug für einen Plausch, und Sartaj hörte sich nur zu gern die Berichte über ihre Söhne und Töchter, ihre Ansichten über die Kriminalität und ihre Klagen über die Politiker an. Irgendwann mußte er jedoch wohl oder übel nach Hause, mußte sich dem stellen, was ihn dort erwartete, und so trottete er zurück. Inzwischen hatte auch er einiges zu schleppen, es war heiß, selbst unter den Saman- und Gulmohar-Bäumen, und seine Füße schmorten und schmerzten in den Schuhen.
»Was hast du mitgebracht?« fragte Ma. Der Stapel der Sachen, die sie behalten wollte, war noch genauso groß wie vorher, der andere war gewachsen.
»Nur ein paar Bananen, Ma.« Sartaj stieg über einige rote Bettdecken hinweg und ging in die Küche. Er nahm die kleinen Chini-Bananen aus dem Papier und legte sie auf die Arbeitsfläche.
»Du hast Bier gekauft?« Ma war in der Tür erschienen. »Wieso denn das?«
»Nur so.«
»Ich dachte, du magst kein Bier.«
»Jetzt schon. Können wir essen? Ich hab Hunger.«
Sartaj öffnete eine Flasche Michelob, trank daraus und stocherte in seinem Essen herum. Dann legte er sich in seinem Zimmer hin und schloß vor dem gleißenden Nachmittagslicht, das neben den Vorhängen hereindrang, fest die Augen. Um zwei stand er auf und ging wieder in die Küche. Am Spülbecken stehend, öffnete er eine zweite Flasche Bier und zwang sich, den bitteren Inhalt zu trinken. Dann tappte er an Ma vorbei, die noch immer mit ihren Truhen beschäftigt war, ins Bad, tastete auf dem Bord nach seiner Zahnpasta und putzte sich zweimal die Zähne. Schließlich setzte er sich auf sein Bett und wartete, den Blick auf die Uhr gerichtet.
Um halb drei klopfte es an der Haustür. Ma stand auf, schlurfte zur Tür und öffnete sie, dann hörte Sartaj, wie Parulkar sie überschwenglich begrüßte. »Bhabhi«, sagte er, »Sie sehen ja prächtig aus. Wenn ich pensioniert bin, ziehe ich auch nach Pune, die Luft ist hier so viel besser.«
»Are, Sartaj hat mir gar nicht gesagt, daß Sie kommen. Sartaj? Sartaj?«
Doch Sartaj wollte nicht aufstehen, noch nicht.
»Are, Sartaj, Parulkar-ji ist da. Wo bleibst du denn, Beta? Ich weiß gar nicht, was er macht.«
Sartaj aber wußte nur zu gut, was er machte. Er zwang sich aufzustehen und ging hinaus, tat so, als überraschte ihn Parulkars Besuch, und hieß ihn willkommen, räumte das Sofa für ihn frei und bot ihm Bier und Bananen an. Parulkar trank wie immer mit Genuß und bat Ma, ihm ihre berühmten würzigen Pakoras zu machen. Er stand in der Tür und plauderte mit ihr, während sie ihre Töpfe hervorholte. »Dann hat Sardar-saab gesagt, ›ich muß nach Hause, ich bin frisch verheiratet und habe meine Frau seit drei Tagen nicht mehr gesehen‹. Da wurde mir erst klar, daß er vier Tage lang kein Auge zugetan hatte.«
Parulkar sprach von Papa-ji, der in der Dienststelle bekannt dafür gewesen war, daß er tagelang ohne
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