Der Pate von Bombay
Sartaj wandte den Kopf ab. Er wollte nicht weiterlesen.
»Da steht, das Antikorruptionsbüro hat einen halbstündigen Mitschnitt von einem Gespräch, das Parulkar mit Suleiman Isa in Karatschi geführt hat, der Text ist allen Zeitungen zugespielt worden«, sagte Shambhu. »Auf mehreren Websites ist er auch schon, da kann man sich das Ganze sogar anhören. Parulkar spricht mit Suleiman Isa über irgendwelche Geldzahlungen, über bestimmte Jobs und so weiter. Und - wo steht's? Hier. »Unabhängige Stimmenexperten haben dem Samachar gegenüber bereits angedeutet, daß es sich bei der fraglichen Aufzeichnung ihrer Meinung nach um die Stimmen von DCP Parulkar und Suleiman Isa handelte«
»Bhenchod«, sagte Kamble. »Zeigen Sie her.« Er griff nach der Zeitung, las schnell, blätterte um und überflog den Rest des Artikels. »Maderchod. Der Mann ist erledigt. Dieser Saala ist weg vom Fenster.«
»Ich kann's kaum glauben«, sagte Shambhu. »Wie kann der so einen Fehler machen?«
»Jeder macht Fehler«, sagte Sartaj, »früher oder später. Wenn nicht heute, dann morgen.«
Dann schwiegen sie. Nach einer Weile zeigte Kamble auf die Zeitung und fragte: »Wollen Sie's lesen?«
»Nein.«
»Okay. Ich muß wieder an die Arbeit. Und Sie, was machen Sie?«
»Ich bleibe hier sitzen und warte auf meine Information.«
Doch Kamble schien das für keine gute Idee zu halten. Er erhob Einwände und moserte, bis Sartaj fuchsteufelswild wurde, worauf Kamble noch mehr moserte. Die Gäste an den anderen Tischen, Angestellte und Hausfrauen, warfen ihnen unbehagliche Blicke zu und begannen zu murren, und schließlich gab Sartaj nach. Er begleitete Kamble auf seinen todlangweiligen Gängen zu einer Spielhölle, einer Schuhfabrik und ins Nehru Nagar Basti in Andheri, wo er einen Tadipaar 611 suchte, der angeblich in Kailashpada untergetaucht und entwischt war. Sartaj stolperte hinter Kamble her durch die Gassen, und der Kopf schwirrte ihm vom Ansturm der Gerüche, guter wie schlechter. Er war jetzt nicht mehr betrunken, aber das Gehen und der stetige Strom der Gesichter, die so dicht neben ihm vorüberglitten, lenkten ihn ab und sorgten für eine angenehme Betäubung.
Um sechs klingelte sein Handy. »Bhai war sehr erfreut«, sagte Iffat-bibi.
»So.«
»Er möchte Ihnen etwas schenken. Eine kleine Aufmerksamkeit. Fünf Petis.«
»Ich will kein Geld von dem Maderchod. Geben Sie mir einfach die Adresse.«
»Sind Sie sicher? Ein Geschenk von Bhai zurückzuweisen ist ziemlich unhöflich.«
»Sagen Sie ihm genau das, was ich Ihnen gesagt habe. Ich will die Adresse, okay? Die Adresse.«
Iffat-bibi seufzte. »Na gut«, sagte sie. »Ihr jungen Leute seid manchmal so dumm. Haben Sie was zu schreiben?«
Die Adresse war die eines zweistöckigen Bungalows in einem Mittelschichtviertel am westlichen Rand von Chembur, der von einer drei Meter hohen Mauer umgeben war. Nachdem Sartaj sie in sorgfältigen Druckbuchstaben in sein Notizbuch geschrieben hatte, ließ er sie sich von Iffat-bibi noch dreimal wiederholen. Dann ging alles ganz schnell. Er rief Anjali Mathur an, und er und Kamble trafen sich mit ihr und ihren Leuten in einer Straße nahe dem Vrindavan Chowk in Sion. Dann fuhren sie nordwärts nach Chembur, begleitet von einem Oberinspektor, einem Rudel hochrangiger Polizeibeamter und mehreren beinhart wirkenden Offizieren, die sich über ihre Funktion ausschwiegen. Polizisten aus Chembur informierten sie über die Örtlichkeiten und führten sie bis in die unmittelbare Nachbarschaft des Bungalows. Sie umstellten ihn unauffällig und richteten im Gebäude einer sechzig Meter entfernten Molkerei hinter einer Baumreihe ihre Kommandozentrale ein. Sartaj bekam den Bungalow gar nicht zu Gesicht. Er und Kamble saßen an der Wand des Raumes, der sich mit Funkgeräten, sonstigen, undefinierbaren Apparaturen und kompetent und souverän wirkenden Männern füllte. Anjali Mathur besprach sich leise mit ihrem Chef und anderen, vergaß jedoch nicht, auch Sartaj und Kamble Tee bringen zu lassen.
Kamble stieß Sartaj an. »Boß«, flüsterte er, »gehen Sie rüber und stellen Sie sich zu denen. Vielleicht brauchen die einen Rat von Ihnen. Oder sie müssen Sie was fragen. Schließlich waren Sie's, der dieses verdammte Haus gefunden hat. Sie sind der Held des Tages. Gehen Sie hin, und zeigen Sie, daß Ihnen die Lorbeeren zustehen, sonst schnappt sie Ihnen einer von den IPS-Kerlen 276 da weg.«
Doch Sartaj hatte keine Lust, Ratschläge zu erteilen. Er war
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