Der Pate von Bombay
Zimmer betrat, aber sie konnte ihn nicht daran hindern. Die Tür fiel ins Schloß, und sie sah Sartaj kopfschüttelnd an. Er wartete das Klicken im Hörer und Parulkars »Hallo« ab, dann legte er auf. »Das ist ein wichtiger Anruf, Ma« sagte er. »Sehr wichtig. Von der Zentralregierung.«
Die Sache gefiel ihr nach wie vor nicht, aber sie war noch Polizistenfrau genug, um zu wissen, daß man Anrufe von der Zentralregierung entgegennehmen mußte, manchmal auch zu Hause. Sie räumte den Tisch ab und wischte ihn sauber. Sartaj trank noch ein Bier und behielt die Uhr im Auge. Fünfzehn Minuten vergingen, zwanzig. Parulkar hatte sein Limit überschritten, aber vielleicht stritten sie sich um Geld. Oder vielleicht über den Tod von Suleiman Isas Killern und Controllern. Vielleicht drohten sie einander.
»Was macht der Mann bloß da drin?« fragte Ma. »Ich bin müde, und seine Pakoras sind fertig. Die werden ja kalt.«
Sie hatte keinen Mittagsschlaf gehalten und war bei ihrer Arbeit gestört worden. »Er kann nichts dafür, daß der Anruf gekommen ist, Ma.«
Sie zuckte die Schultern und setzte sich entschlossen wieder zu ihren Koffern auf den Boden. »Er müßte doch wissen, daß man nicht mitten am Nachmittag unangemeldet zu Besuch kommt. Aber so war er schon immer.«
Sie sprach mit der lauten Stimme einer alten Frau, und Sartaj versuchte sie zum Schweigen zu bringen. »Psst, Ma, er kann dich doch hören. Aber keine Sorge, er wird gleich fertig sein.«
Doch es dauerte noch einmal volle zehn Minuten, bis Parulkar wieder auftauchte. Er triumphierte. Er zwinkerte Sartaj zu, nahm sein Bierglas vom Tisch und trank daraus. Dann setzte er sich auf Papa-jis Stuhl und verzehrte bedächtig und genüßlich seine Pakoras. Er wirkte ruhig, selbstsicher und unverkennbar siegesgewiß. Er hatte Suleiman Isa und alle seine Handlanger bezwungen. Ma und er unterhielten sich über die alten Zeiten, als sie noch jung waren, als Papa-ji für seine spiegelblanken Schuhe berühmt war. Schließlich sagte er: »Tja, Bhabhi-ji, ich muß los. Aber ich komme bald wieder zum Pakoraessen. Nein, nein, bleiben Sie sitzen.«
Ma stand nicht auf, aber sie besaß immerhin die Höflichkeit, »Ja, unbedingt« zu sagen und Parulkar alles Gute für seine Kinder zu wünschen. Sartaj begleitete Parulkar, der seine schimmernde schwarz-silberne Brille putzte, auf die Veranda hinaus.
»Alles in Ordnung, Sir?«
»Ja. Man mußte dem Mann nur mal den Kopf zurechtrücken. Er ist ganz vernünftig, wenn man ihn zu nehmen weiß.« Mit einer schwungvollen Bewegung setzte er die Brille auf. »Aber jetzt ist alles geregelt. Der Fall ist erledigt. Gute Arbeit, Sartaj. Danke.«
»Keine Ursache, Sir ...«
Parulkar klopfte ihm auf den Arm. »Deine Mutter macht einen gesunden Eindruck. Du hast gute Gene, Sartaj, wenn du auf dich achtest, wirst du lange leben. Okay, wir sehen uns dann in Bombay. Ruh dich aus. Entspann dich. Schau dir einen Film an oder so.«
Er drehte sich abrupt um und ging zu seinem Wagen. Die Bodyguards stiegen waffenklirrend und türenschlagend in ihre Jeeps, und die Prozession fuhr, von zwei kläffenden Hunden verfolgt, in einer festlichen Staubwolke davon.
Ma stand an der Tür. »Die Bananen und das Bier«, sagte sie. »Du hast gewußt, daß er kommt.«
»Ja.« Nicht umsonst hatte sie sich jahrelang all die Polizistengeschichten angehört. Sie wußte Motive und Handlungsweisen, Ursachen und Folgen einzuschätzen.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte sie.
»Ja.«
»Gibt es irgendwelche Probleme? Hast du was angestellt?«
»Nein.«
»Geh und ruh dich aus.«
Als er an ihr vorbeiging, legte sie ihm die Hand aufs Handgelenk, eine Geste, die ihm noch aus seiner Kindheit vertraut war. Damals hatte sie auf diese Weise geprüft, ob er Fieber hatte, ob irgend etwas nicht stimmte und sie sich darum kümmern mußte. Heute aber, an diesem Nachmittag, war er nicht krank, seine Erschöpfung und seine geröteten Augen hatten keine körperlichen Ursachen. Als er an Mas offener Schlafzimmertür vorbeitrottete, sah er auf ihrem Nachttisch etwas schimmern. Ma hatte also beschlossen, das Foto ihrer geliebten Navneet zu behalten. An Gegenstände fühlte sie sich immer weniger gebunden, aber mit Menschen war es anders. Sartaj spürte noch ihre Hand auf seinem Handgelenk. Wie klein ihre Hände waren und auch ihre Füße. Sie war überhaupt klein, so klein, daß Navneet und der Rest der Familie sie als Kind »Nikki« genannt hatten. Man konnte sie sich kaum
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