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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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gegen die Müdigkeit ankämpfen. Die Erschöpfung hatte nicht nur seine Muskeln oder Zellen befallen, das hätte er vielleicht noch in den Griff bekommen können. Er war insgesamt ausgelaugt, aufgerieben, nur noch ein schmaler Splitter seines Willens war übrig, hart, aber hinfällig. Er war nahe daran aufzugeben, doch er mußte weitermachen, und er schaffte es auch. Am Ende des Jahres jedoch, als die Prüfungen vorbei waren und Zukunftspläne geschmiedet wurden, hatte er genug. Er wollte nach Hause.
    »Wieso denn das?« fragte Jaggu. »Was willst du denn da? Du mußt promovieren, was anderes kannst du gar nicht machen.«
    Ohne Promotion ging es nicht, wenn man unterrichten wollte, und das wollte Aadil. Doch die Kosten für einen weiteren Abschluß aufzubringen, für drei, vielleicht sogar vier weitere Jahre, dazu sah er sich nicht in der Lage, nicht mehr. Vielleicht kann man sich nur bis zu einer gewissen Grenze verausgaben, dachte er, und er hatte sich schon in der Grundschule so sehr verausgabt, daß seine Kraft nun aufgebraucht war. Er wußte, daß er keine Lastwagen mehr fahren konnte, keine Mahlzeit mehr auslassen, keine Bücher mehr ausleihen und hoch und heilig versprechen, sie am nächsten Morgen zurückzubringen. Er versuchte es Jaggu zu erklären. »Ich bin einfach nur sehr müde«, sagte er.
    Jaggu wurde wütend. »Stinkfaul bist du! Ich hab dir mehr Mumm zugetraut. Soll denn die jahrelange Ausbildung für die Katz gewesen sein? Versuch's doch wenigstens.«
    Zum ersten Mal flammte in Aadil Zorn gegen Jaggu auf, diesen Freund, der so mühelos seinen Abschluß gemacht hatte, der einen weiteren anstrebte und ihn zweifellos mit links absolvieren würde, dem der Doktortitel und eine Lehrtätigkeit sicher waren. Und er würde von sich glauben, er hätte sich all das mühsam erarbeitet, es hätte ihn Opfer und Schweiß gekostet. Eines Tages würde er mit seinen Professorenkollegen behaglich zusammensitzen und ihnen von seinem Freund Aadil erzählen, einem armen Jungen vom Lande, der nicht die Kraft und Ausdauer besessen hatte, seine Ausbildung abzuschließen. »Diese Leute«, würde er seufzen und von seinem Tee trinken. Aadil hätte ihn am liebsten geohrfeigt, den großzügigen, selbstgerechten, aufgebrachten Jaggu.
    Aber er wandte sich nur ab. Drei Wochen hielt er Jaggus inständigen Bitten und seinen Sticheleien stand, dann kehrte er nach Rajpur zurück. Dort wurde auf dem Bazaar darüber debattiert und gestritten, was in Patna mit Dibba passiert sein mochte. Manche glaubten, er sei durch die Prüfungen gefallen, andere meinten, er sei überhaupt nicht in Patna gewesen. Wieso hätte er sonst mit all seiner angeblichen Bildung zurückkommen und wieder auf dem Feld arbeiten sollen? Rajpur wollte das Rätsel lösen, und manche gingen sogar zum Ansari Tola hinaus, um Aadil im Lungi neben seinem Vater auf dem Feld schwitzen zu sehen. Aadil tat alle Fragen und Hänseleien achselzuckend ab und blieb für sich. Er kam nur selten in die Stadt, um Saatgut und Dünger zu kaufen, und ging dann sofort wieder nach Hause. Die Monate verstrichen, und die Bazaarwitzbolde wurden seiner überdrüssig und wandten sich anderen Themen zu. Doch das Interesse erwachte schlagartig wieder, als sich zeigte, daß Dibba im Begriff stand, auf dem kärglichen Stückchen Land der Familie einen sensationellen Ertrag zu erzielen. Nach der Frühjahrsernte sah man viel weises Kopfnicken in Rajpur. »Dieser Dibba holt das ganze Geld wieder rein, das sein Vater für ihn ausgegeben hat. Der wird es auf zwei Ernten bringen. Der alte Noor wird sich freuen.«
    Doch Noor Mohammed freute sich nicht. Er hatte große Angst. Als das Getreide geschnitten wurde, hatte Aadil bemerkt, daß ihr Land kleiner geworden war. Die angrenzende Farm gehörte Nandan Prasad Yadav, und nach der Ernte stellte sich heraus, daß die Grenze zwischen den beiden Farmen um fünfzehn Zentimeter nach Westen gerückt war. Die eine Farm war gewachsen, die andere geschrumpft. Als Aadil seinen Vater darauf ansprach, stritt Noor Mohammed es zunächst ab. Da wurde Aadil wütend, schritt mit ihm die Grenze ab und zeigte ihm, daß sie auf ihrer Seite jetzt näher an dem Babul 041 verlief, auf Nandan Prasad Yadavs Seite weiter von der Pumpe entfernt. Noor Mohammed konnte nun nicht länger leugnen, daß man ihnen ein Stück von ihrem Land weggenommen hatte, doch er bat Aadil inständig, nichts zu unternehmen, kein Sterbenswort darüber zu verlieren. »Wir sind ganz kleine Leute«, sagte

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