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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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er. »Und die sind Elefanten.«
    Aadil schwieg. Die gelben Blüten des Babul leuchteten vor dem fernen Dunst über dem Fluß. »Wieviel haben sie genommen?« fragte er.
    »Du hast es doch schon gesagt.« Noor Mohammed hob eine schwielige Hand und spreizte die Finger.
    »Nein.« Aadil faßte die Hand seines Vaters. »Insgesamt, meine ich, über die Jahre.«
    Noor Mohammed blickte auf Nandan Prasad Yadavs Land hinüber, das sich bis zu den Hügeln und zur Straße hin erstreckte. Er brauchte nicht nachzumessen, er wußte es auch so. »Wir hatten früher fast anderthalb Bigha. Ein Bigha haben sie genommen, als ich noch klein war. Mein Abba 004 hat sich damals Geld geliehen und ein Papier unterschrieben.«
    »Was für ein Papier?«
    »Keine Ahnung. Er konnte nicht zahlen, und da haben sie sich das Land genommen.«
    Noor Mohammed wußte nicht, wo sich das Papier jetzt befand. »Beta«, sagte er, »das Land gehört jetzt ihnen. Es ist ihres.«
    Aadil zeigte auf die neue Grenze. »Und das?«
    Weder Kummer noch Zorn bewegten Noor Mohammed. Seine Stirn und seine Wangen waren hart, wie aus schwarzem Stein gemeißelt. »Das gehört ihnen auch«, sagte er. Dann wandte er sich ab und ging wie immer gleichmäßigen Schrittes ins Tola zurück, nicht langsam und nicht schnell.
    Am nächsten Tag bekam Noor Mohammed noch größere Angst, als sich zeigte, daß Aadil weder willens noch imstande war, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Am Morgen ging er nach Kurkoo Kothi und verlangte Nandan Prasad Yadav zu sprechen. Nachdem man ihn vier Stunden hatte warten lassen, ging er aufs Polizeirevier von Rajpur und wollte Anzeige erstatten, aber der diensthabende Wachtmeister lachte ihn nur aus. Da kehrte er ins Ansari Tola zurück, nahm einen Spaten und marschierte aufs Feld hinaus. Eine Stunde später sah ihn ein Arbeiter auf Nandan Prasad Yadavs Land wie wild graben. Er versetzte die Grenze wieder um fünfzehn Zentimeter zurück. Eine weitere Stunde später kamen zwei Männer mit Lathis und zwei mit Schrotflinten ins Ansari Tola und redeten mit Noor Mohammed. Er und zwei seiner Cousins liefen daraufhin aufs Feld hinaus und redeten und rangen mit Aadil. Sie mußten ihm den Spaten mit Gewalt entreißen. Er beschimpfte sie, und Nandan Prasad Yadavs Leute lachten. Dann ging er weg. Noor Mohammed und seine Cousins zogen die Grenze wieder an der alten Stelle.
    Tags darauf marschierte Aadil aufs Grundbuchamt und von dort zum Kreisinspektor. Beide waren beeindruckt von seiner gewählten Redeweise und rieten ihm zu einer Klage. Sie würden die Sache dem Kreisbevollmächtigten vortragen, der übrigens auch stellvertretender Steuereinnehmer sei, und der wiederum werde sie dem Steuereinnehmer vortragen. Weder der Grundbuchbeamte noch der Kreisinspektor wußten etwas von einem von Aadils Großvater unterschriebenen Schuldschein, der Beamte versprach jedoch, die Nummer des Flurstücks im Grundbuch nachzuschlagen und zu sehen, ob er dort etwas finde.
    Aadil begriff, daß die beiden weder etwas finden noch überhaupt irgend etwas unternehmen würden. Er hatte kein Geld, um den Beamten zu bestechen, und keinen Einfluß, um auf den Kreisinspektor Druck auszuüben. Und das Ansari Tola hatte nicht genug Menschen und wohl auch nicht den Willen, sich gegen Nandan Prasad Yadav zur Wehr zu setzen. Das Land war ein für allemal verloren. Das wußte Aadil so sicher, wie er wußte, daß der Milani von Westen nach Osten floß, und doch konnte er sich nicht damit abfinden. Gerechtigkeit war in Rajpur eine Illusion, an die nicht einmal die Kinder glaubten, auch das wußte er, aber er vermochte die Dinge nicht wie seine Eltern mit Fassung zu tragen. Und er schwieg nicht länger. Auf dem Bazaar wetterte er gegen Nandan Prasad Yadav und nannte ihn einen Dieb und Bastard. In Patna hatte er kein Bier getrunken, jetzt aber fing er an, Tadi 610 zu trinken. Seine Verwandten sahen ihn nun oft die Straße zum Tola entlangtorkeln. Er setzte sich auf die Böschung, führte Selbstgespräche und warf den Vorübergehenden aus blutunterlaufenen Augen grimmige Blicke zu. Seine Eltern flehten, drohten, baten den Maulvi, mit ihm zu reden, aber nichts konnte seine Verzweiflung lindern. Seine Mutter drängte auf eine Heirat, Ehe und Verantwortung würden ihn ruhiger machen, meinte sie, doch niemand wollte seine Tochter einem stadtbekannten Verrückten geben, trotz all seiner Bildung.
    Aadil arbeitete weiterhin jeden Tag gewissenhaft auf dem Feld. Und jeden Tag schritt er die Grenze ab, um zu

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