Der Pate von Bombay
Die Bengalen waren alle illegal hier, mit gekauften Papieren und gefälschten Geburtsurkunden. Sie waren vorsichtig, und sie blieben für sich. Nur sehr zögernd faßten sie Zutrauen zu Aadil, sie verstummten, wenn er vorbeiging, und ihm war es so gerade recht.
Da er das Basti ungern verließ, gab er den Jungen in der Gasse ab und zu Geld und ließ sich von ihnen Essen, Rasierklingen und Medikamente gegen seine Kopfschmerzen besorgen. Es waren quälende Schmerzen in den Schläfen, so heftig, daß er mehrere Tage hintereinander schwitzend, nackt und zitternd in seinem Kholi liegen mußte, in dem er jeden Spalt und jede Ritze mit Zeitungspapier abgedichtet hatte. Die Jungen brachten ihm Tabletten aus der Drogerie an der Schnellstraße und Tee. Sie waren zu dritt, Shamsul, Bazil und Faraj. Alle drei waren achtzehn Jahre alt und hatten bis zur zehnten Klasse die Schule besucht, und alle drei träumten davon, reich zu werden. Shamsul und Bazil arbeiteten bei einem Kurierdienst, Faraj hing im Basti herum und verrichtete Gelegenheitsarbeiten für die Händler auf dem Markt. Sie waren begeisterte Filmfans, und jeder von ihnen hatte einen Lieblingsstar, dessen Sprache und Tonfall er nachahmte. Sie waren ungefähr zur selben Zeit nach Mumbai gekommen, und jetzt, fünfzehn Jahre später, waren sie durch und durch Städter und begegneten ihren Eltern mit der duldsamen Zuneigung, die Stadtbewohner harmlosen Hinterwäldlern entgegenbringen. Aadil hörte zu, wie sie sich miteinander unterhielten. Sie saßen gern auf dem Sims neben seiner Tür, redeten über Gott und die Welt und schauten den Passanten nach, besonders den Mädchen. Aadil nannten sie »Reyaz-bhai«, und sein Kholi war für sie eine willkommene Anlaufstelle. Faraj versteckte dort seine Zigaretten, und alle drei wußten die Trinkgelder zu schätzen, die Aadil ihnen gab. Ein einziges Mal hatten sie versucht, ihn zu betrügen, ganz zu Anfang, doch da hatte er Bazil an der Kehle gepackt, und seine tonlose Stimme hatte sie so erschreckt, daß sie ihm die paar Rupien zurückgaben, die sie beim Kauf von Reis und Speiseöl für sich behalten hatten. Einige Tage hatten sie sich nicht mehr bei ihm blicken lassen, dann hatte er sie wieder herangewinkt und sie beauftragt, ihm Zwiebeln und eine Zeitung zu besorgen. Seitdem begegneten sie ihm mit vorsichtigem Respekt, und er ließ sie in seinem kleinen Zimmer nach Belieben ein und aus gehen.
Es belustigte ihn, wie sehr sie sich nach Autos, Handys und Mädchen mit Klosterschulbildung verzehrten, wie endlos sie sich über die großen Wohnungen auslassen konnten, die sie kaufen würden, wenn sie ihr Glück gemacht hatten. Sie steckten voller Wünsche, hatten aber keinerlei realistische Pläne. Manchmal flüsterten sie miteinander, und Aadil wußte, daß sie eine Gaunerei ausheckten, einen kleinen Diebstahl, um an Geld für Kinokarten oder Haarcreme zu kommen. Ihre Eltern waren ruhige, schwer arbeitende Leute, die eine Heidenangst vor der Polizei hatten, die Jungen aber wollten höher hinaus. Aufgeregt erzählten sie einander Geschichten von den großen Gangstern der Stadt, Suleiman Isa, Ganesh Gaitonde und Chotta Madhav. In der engen, schmutzigen Gasse vor Aadils Tür spielten sie Company für ihn nach, mit allem Drum und Dran, von Afrika bis Hongkong. Doch Aadil wußte, daß sie nie etwas anderes gestohlen hatten als ein bißchen Schrott von einem Händler in Kailashpada und daß sie nie nach Singapur kommen würden. Nicht ohne seine Führung.
»Schluß mit dem Gefasel«, sagte er eines Tages. »Hört zu: Wenn ihr Geld machen wollt, braucht ihr Disziplin. Und vier Hackmesser.«
An einem Aprilabend, als die Hitze auch lange nach Sonnenuntergang noch nicht gewichen war, rief er sie zu sich herein. Wie junge Hunde saßen sie nebeneinander auf dem Boden und sahen ihn aus großen Augen an. Als sie begriffen, daß er von einem Raubüberfall sprach, scheuten sie zurück und wurden ganz still. Aadil kannte diese Reaktion natürlich, er hatte sie bei jungen Rekruten gesehen, wenn ihnen klar wurde, daß der bevorstehende Kampf Realität war. Er erläuterte ihnen seinen Plan, und schließlich fragte Faraj: »Haben Sie so was schon mal gemacht?«
Da sagte Aadil ihnen, daß er es schon viele Male gemacht hatte, nannte aber keine Einzelheiten, und sie gaben sich damit zufrieden. Er war ihnen immer ein Rätsel gewesen, doch nun wußten sie genug, um sich neue Geschichten über ihn auszudenken. Wie die meisten jungen Männer wollten sie
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