Der Pate von Bombay
geführt werden, und so unterstellten sie sich bereitwillig seinem Befehl. Er gab ihnen etwas zu tun, er lobte sie, und sie folgten ihm bedingungslos. Eine Ideologie hatten sie nicht nötig, denn daß sie Geld brauchten, stand für sie bereits fest, sie mußten es sich nur nehmen. An einen Arbeiterhimmel in der Zukunft brauchten sie nicht zu glauben, weil sie an das Paradies des Geldes in der Gegenwart glaubten. Und Aadil hatte ohnehin keine Ideologie mehr zu vermitteln. Alle höheren Ziele waren in ihm verglüht, waren einer glasklaren Sicht der Dinge gewichen. Sein Geld ging zur Neige, er mußte essen, und er brauchte einen Platz zum Wohnen. Er hätte arbeiten können, als Fahrer vielleicht oder als Hilfsarbeiter, aber das wollte er nicht, und er fühlte sich auch nicht dazu imstande. Er regte sich gar nicht erst auf über die enormen Reichtümer, die in dieser Stadt angehäuft wurden, über die tägliche Gewalt der Armut, der Millionen und Abermillionen ausgesetzt waren. All das war nun einmal nicht zu ändern. Aadil wollte nur dieses wenige: etwas zu essen, einen Raum zum Schlafen, in Ruhe gelassen werden. Und diese Bedürfnisse würde er befriedigen.
Zwei Wochen später starteten Aadil und die Jungen ihre erste Aktion. Ihr Ziel war eine Wohnung im dritten Stock eines Hauses in Bandra, nahe der Hill Road. Shamsul hatte dort mehrmals Pakete für die Tochter des Hauses abgeliefert, eine dreißigjährige Frau, leitende Angestellte in einer Werbeagentur. Tagsüber waren nur ihre Eltern zu Hause. Der Vater war ein schmächtiger, von Asthma geplagter Mann. Als Bazil in der Uniform eines Kurierdienstes, die er sich eigens hatte schneidern lassen, anklopfte, machte die Mutter auf, und Bazil hielt ihr ein großes braunes Paket hin. Faraj und Aadil warteten im Treppenhaus. Dem Wachmann am Eingang des Gebäudes hatte Aadil gesagt, er sei Elektriker und Faraj sein Gehilfe. Die alte Frau nahm das Paket, und während sie die Quittung unterschrieb, stand plötzlich Aadil mit gezücktem Hackmesser neben ihr. Sie schoben sie in die Wohnung und weckten ihren Mann auf. Faraj nahm ein dickes Seil aus seiner Elektrikertasche und gab es Aadil, der die Eltern damit an zwei Stühle fesselte. »Keine Sorge, Mata-ji«, sagte er, »wir tun Ihnen nichts. Machen Sie keinen Lärm, machen Sie keinen Ärger, und Ihnen passiert nichts.« Den Jungen hatte er gesagt, daß die Androhung von Gewalt stets besser wirke als die Gewalt selbst. Terror, hatte er gesagt, verleiht Macht. Ihre Messer hatten nur neunzehn Rupien pro Stück gekostet, aber sie taten ihre Wirkung. Aadil legte seines vor Mata-ji und Papa-ji auf den Tisch und sagte: »Wenn Sie sich ruhig verhalten, muß ich mein Patra 485 nicht benutzen. Geben Sie uns zwanzig Minuten, dann sind wir wieder weg.«
Aadil schickte Shamsul mit seiner Kuriertasche voller Schmuck voraus, und genau zwanzig Minuten später kamen er und Faraj mit dem Bargeld nach - indische Rupien und ein überraschend hoher Dollarbetrag, den sie ganz hinten in einem Godrej-Safe gefunden hatten. Faraj wollte die alten Leute töten. »Das wäre sicherer«, sagte er, »die haben unsere Gesichter gesehen.« Doch Aadil versetzte ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und schob ihn zur Tür. Er redete noch einmal leise mit Mata-ji, dann knebelte er sie und Papa-ji locker.
»Denken Sie dran«, sagte er, »wir wissen, wo Ihre Tochter arbeitet. Also keinen Mucks.« Er hatte keine Ahnung, wo die Tochter arbeitete, aber die beiden würden sich zumindest so lange ruhig verhalten, bis er und Faraj die Treppe hinunter, an dem Wachmann vorbei und auf der Straße waren. Und so geschah es. Alle vier entkamen wohlbehalten, ohne Lärm, ohne Theater, ohne Töten.
Die Jungen waren außer sich vor Freude über ihre Beute: siebenundsechzigtausend Rupien und zweihundert Dollar in bar, dazu der Schmuck. Shamsul kannte einen Hehler, mit dem er bereits alles arrangiert hatte. Noch am selben Tag verkauften sie den Schmuck für ein Lakh vierzigtausend. Die Dollars mußten sie, da es sich um kleine Scheine im Wert von einem, fünf und zehn Dollar handelte, zu einem niedrigen Kurs umtauschen. Doch die Jungen hatten noch nie so viel Geld auf einmal gesehen, und nun waren sie plötzlich die Kings. Aadil versuchte ihnen klarzumachen, daß sie vorsichtig sein müßten, es könnte Argwohn erregen und ihnen den Besuch eines Polizisten eintragen, wenn sie plötzlich mit Geld um sich warfen und sich mit Sonnenbrillen, neuen Kleidern und Schuhen herausputzten.
Weitere Kostenlose Bücher