Der Pate von Bombay
unvollkommenen Mitteln nach Vollkommenheit streben. Die Tugenden der Unterdrückten waren Schläue, List und Täuschung. Pflicht der Kader war es, dem Diktat der Partei zu gehorchen. All das glaubte und akzeptierte Aadil. Er zweifelte nicht an der Lauterkeit der Parteiziele - egal, wie viele grüne Sofas der Genosse Jansevak seiner Frau kaufte -, und er würde der Sache auch weiterhin mit äußerster Kraft und Begeisterung dienen. Er würde sein Leben der Partei, den Arbeitern der kommenden Jahre widmen. Er selbst kannte nur den Kampf, sie aber würden das Glück kennenlernen. Für sie und ihre Zukunft war er bereit, mit den Privilegien des Genossen Jansevak, mit den Lasten, die Bauern und kleinen Ladenbesitzern aufgebürdet wurden, zu leben, die Exekution von Abtrünnigen und all das Blut hinzunehmen.
Das Töten war für Aadil Routine geworden. Im Chaos und Lärm der Überfälle verlor man leicht den Überblick, aber nach seiner Rechnung hatte er ein Dutzend Menschen getötet, vielleicht sogar zwanzig oder auch ein paar mehr. Und noch viel mehr Menschen hatte er sterben sehen, durch eine Kugel, eine Explosion, eine Axt oder einen Lathi. Er erinnerte sich schon nicht mehr an all die Leichen, die Bündel aus Fleisch und Stoffetzen, über die er hinweggestiegen war. Er war weitermarschiert, hatte nach vorn geblickt und die Toten zurückgelassen. Anfangs war jeder Tod, dessen Zeuge er wurde, ein einschneidendes Ereignis gewesen, eine Veränderung der Welt, die ihn mit der Gewalt einer Offenbarung traf. Er hatte genau auf die Symptome geachtet, einen zuckenden Arm, ein offenes Auge, dessen Lederhaut stumpf wurde, so daß es sich schwärzlich-gelb verfärbte, dessen Netzhaut grau geworden war. Damals - es war lange her - war jede dieser Veränderungen eine Verheißung der großen künftigen Transformation gewesen, jedes Sterben hatte das Erwachen der Arbeiter angekündigt. Inzwischen zählte Aadil die Leichen nicht mehr. Der Tod war der Boden, über den er ging, das Land, das er bewohnte. Er lebte im Tod und nahm ihn deshalb nicht mehr wahr.
Doch es war das Leben, das ihn schließlich aus der Bahn warf und ihn veranlaßte, vor der Revolution, dem Genossen Jansevak, dem PAC und aus Bihar zu fliehen. Der Truppführer, der ihn in seinen ersten Hinterhalt mitgenommen hatte, war inzwischen Gebietskommandant, und nun durfte Aadil auch seinen Namen wissen: Natwar Kahar. Unterstützt von seinem Stellvertreter Bhavani Kahar, operierte Natwar Kahar vorwiegend in Jamui und Nawada. Bhavani war erst vierundzwanzig, ein entfernter Verwandter und besonderer Schützling Natwar Kahars. Natwar Kahar hatte ihn als Jungen in die Partei eingeführt und zum Soldaten und möglichen Parteiführer herangebildet. Bhavani hatte Charisma und kannte keine Furcht. In der Diwali-Nacht wurde er in dem Dorf Re-khan, wo er bei einer Witwe seinen Rausch ausschlief, von der Polizei aufgegriffen. Der gutaussehende Bhavani verschwand in den Mühlen der Justiz, und Natwar Kahar tobte. Die Polizei hatte offenbar einen Tip bekommen, einen sehr präzisen. Natwar Kahar ging die Verdächtigen durch und kam unter allen Dorfbewohnern schließlich auf die Witwe. Sie hatte als einzige gewußt, daß Bhavani in der Diwali-Nacht in ihr Bett kommen würde und daß er eine Schwäche für guten Rum hatte. Ihre beiden Kinder hatte sie zu ihrer Mutter geschickt, und das an Diwali. Natwar Kahar ließ sie ergreifen und in sein Lager bringen. Er fragte sie nach ihrem Namen - Ramdulari - und verlangte ein Geständnis. Ramdulari protestierte, sie sei unschuldig, sie würde so etwas nie tun, und schon gar nicht würde sie Bhavani verraten. Sie war eine hochgewachsene Frau, diese Ramdulari, nicht schön, aber mit einem üppigen Körper und einem schnellen Gang. Ihr Mann war während einer Überschwemmung acht Jahre zuvor an der Chagas-Krankheit gestorben. Sie hatte ihre Söhne allein großgezogen, das Haus instand gehalten und sich durchgeschlagen. Ihr Kopf war bedeckt, als sie mit Natwar Kahar sprach, aber sie sah ihm gerade in die Augen, und sie flehte ihn weder an, noch zitterte sie oder wirkte sonstwie ängstlich. Natwar Kahar bestand auf einem Geständnis, doch sie schüttelte den Kopf und sagte ungeduldig, Bhavani bedeute ihr viel, soviel wie ihm, Natwar Kahar, selbst.
Noch am selben Abend wurde Ramdulari vor ein von Natwar Kahar einberufenes Volksgericht gestellt. Die Beweislage wurde geprüft, und Ramdulari wurde wegen Verrats zum Tode verurteilt. Wieder hatte sie sich
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