Der Pate von Bombay
über ein angemessenes Thema.
»Salaam alaikum, Khaala 325 -jaan 326 «, sagte Aisha. Sie war geübt in solch abrupten Verwandlungen. Sie hatte sich blitzschnell das Haar hinter die Ohren gestrichen und die Arme um die Knie geschlungen und sah nun lieb und unschuldig aus, ein nettes Mädchen, das eine wohlwollende ältere Person anlächelt.
Und Ammi war wohlwollend. »Waleikum as salaam, Aisha«, sagte sie und tupfte sich mit dem Ende ihres Chunni den Mund. »Geht's dir gut?«
»Danke, Khaala-jaan, sehr gut.« Aisha wiegte leicht den Kopf, wie immer, wenn sie für Tanten und Onkel das artige Kind spielte. »Sie sehen ja so rosig aus. Bestimmt von der kalten Luft.«
Diese Schmeichelei wäre gar nicht nötig gewesen. Ammi war erst überrascht und dann entzückt gewesen über Aishas gutes Urdu und ihr bescheidenes Auftreten. Von Aishas Familie hielt sie nicht viel, aber daß dieses liebe Mädchen als beste Freundin ihrer Tochter in ihrem Haus ein und aus ging, war ihr durchaus willkommen. Aisha hatte also nichts zu befürchten, und dennoch ließ sie keine Gelegenheit aus, Ammi gegenüber Süßholz zu raspeln. Auch diesmal ging Ammi ihr auf den Leim. »Das ist nur die Hitze in der Küche«, sagte sie. »Sharmeen, geh und paß eine Weile auf Daadi 138 auf. Ich kann nicht ständig zu ihr rauflaufen.«
»Jetzt gleich, Ammi?«
»Nein, nächstes Jahr.«
»Wir reden aber gerade über die Prüfungen.«
»Dann redet oben weiter. Die arme alte Frau wird euch nicht dran hindern.« Sharmeen konnte Ammi nicht sagen, daß sie den muffigen Geruch in Daadis Zimmer haßte, daß es ihr angst machte, bei diesem auf dem Rücken ausgestreckten, verhutzelten Körper zu sitzen, der einmal ihre Daadi gewesen war. Sie verzog das Gesicht und zuckte zusammen, als Aisha sie in den Zeh kniff.
»Wir gehen gleich rauf, Khalla«, sagte Aisha.
Ammi ging wieder, jedoch nicht ohne Sharmeen einen warnenden Blick zuzuwerfen. Aisha sammelte ihre Sachen ein und scheuchte Sharmeen durch die Küche und die Treppe hinauf ins hintere Zimmer. Nicht einmal die starken Küchengerüche konnten den grauenhaften Geruch nach Alter überdecken: Kampfer, bittere Medizin und ganz schwach - und das verursachte Sharmeen Brechreiz - Urin. Obwohl es warm war in dem Raum, von den Heizungsrohren und der Küche unten, lag Daadi unter einer Steppdecke und mehreren Wolldecken. Sharmeen setzte sich auf den Stuhl neben der Tür und versuchte, ganz flach zu atmen. Aisha marschierte zum Bett und ließ sich auf das Sofa daneben fallen. Daadi war zwar nur noch ein lebloses Bündel unter den Decken, aber Aisha interessierte sich für sie. Daadi sei jedesmal, wenn sie komme, verändert, meinte sie, noch kleiner, noch runzliger, noch ledriger. Sharmeen mußte ihr recht geben. Das war nicht mehr die große, laute, sarkastische Frau mit den riesigen dunklen Augen, an die sie sich aus ihrer frühen Kindheit vage erinnerte. Aber sie schaute lieber nicht hin. Sie hätte diesen übelriechenden Körper am liebsten sich selbst überlassen, in dem Zimmer ganz hinten im Haus.
»Sie hat zwei neue Haare am Kinn«, sagte Aisha. Sie beugte sich tiefer zu der alten Frau hinab. Dann flüsterte sie mit ihrer Hip-hop-Stimme: »Hey, Dadds, wie geht's?«
Sie prallte zurück.
»Was ist?« fragte Sharmeen.
»Sie hat was gesagt.«
»Na und? Das macht sie öfter. Sie glaubt, sie ist in Rawalpindi. Und redet mit dem Metzger.«
»Quatsch, nein. Das war Englisch. ›I am very well, thank you‹, hat sie gesagt.«
»Das muß sie irgendwo aufgeschnappt haben. Komm hier rüber.«
Doch Aisha zog das Sofa näher ans Bett und wandte das Gesicht zur Seite, um oben in die Steppdecke schauen zu können. Sharmeen hatte sie schon öfter so erlebt: Wenn Aisha sich in etwas verbiß, war sie so konzentriert, daß man sie aus allernächster Nähe ansprechen konnte, ohne daß sie es hörte. Das war ausgesprochen lästig, und wenn sie sich nun auf Daadi fixierte, würden sie in der nächsten Zeit jeden Tag hier heraufkommen müssen. Sharmeen stand auf, ging um das Fußende des Bettes herum und legte Aisha die Hand auf den Rücken. »A-isha«, sagte sie.
»Psst, leise. Sie sagt wieder was.«
»Sie plappert doch die ganze Zeit vor sich hin.« Das tat sie morgens, mittags und abends, sie redete mit den Wänden, sie erzählte Geschichten, und manchmal schimpfte sie auch; dann mußte Ammi lachen, und Abba runzelte die Stirn. Das alles ängstigte Sharmeen, diese halbblinden Augen, das strähnige weiße Haar und die
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