Der Pate von Bombay
Bareilly.«
Der unbeleuchtete Lift kam, sie stiegen ein, und nachdem Katekar das Scherengitter dreimal rasselnd zugezogen hatte, fuhren sie durch vorbeihuschende Lichtstreifen abwärts. »Niemand geht nach Rae Bareilly zurück«, sagte Sartaj. Selbst wenn sie es wollte, dachte er, würde Rae Bareilly sie überhaupt wieder aufnehmen? Sie hatte es bis nach Lokhandwalla geschafft, in eine Fernsehserie und zu Jojo, und Jojo hatte sie weitergereicht.
»Zeit die Dilli-vaali 175 anzurufen?« fragte Katekar. Lange schwarze Balken glitten über sein Gesicht.
»Noch nicht. Erst möchte ich wissen, wer diese Jojo war.«
Jojo Mascarenas war eine ordentliche Frau gewesen. Sie war seit fünf Tagen tot, aber ihre Wohnung war sauber, blitzblank geschrubbt und poliert. In der Küche hingen glänzende Metallkellen der Größe nach an Metallhaken aufgereiht. Die beiden Telefone und der Anrufbeantworter auf der Theke neben dem Eßtisch waren akkurat ausgerichtet, die Kacheln im Badezimmer schimmerten tiefblau.
»Die Frau hat Geld gemacht«, sagte Katekar.
Aber sie war sorgsam damit umgegangen. Die Büroadresse, die Sartaj und Katekar bekommen hatten, war identisch mit der ihrer Privatwohnung im dritten Stock des Nazara 451 in der Yari Road. Das erste kleine Zimmer rechts war ihr Produktionsbüro, zahlreiche Aktenordner, drei Schreibtische, ein Computer, zwei Telefone und ein Faxgerät füllten den Raum bis auf den letzten Millimeter, aber: alles schön geordnet, alles nötig für ihre Arbeit. Selbst ihr Schlafzimmer hatte nichts Extravagantes - eine Doppelmatratze auf einem niedrigen Rahmen, kein Kopfteil. Vor einem hohen Wandspiegel stand ein Tisch mit Kosmetika, davor ein schwarzer Hocker. Es gab keine Ledersofas, keine Kronleuchter, keine goldenen Statuen, nichts von dem Luxus, den Sartaj bei Leuten, die mit Bildern und Körpern handelten, aus Erfahrung erwartete. Als er den Schlüssel aus seiner Hosentasche gezogen und in das Schloß gesteckt hatte, das sich mühelos öffnen ließ, war er auf ein Filmi-Bordell mit viel rotem Satin gefaßt gewesen oder auf das Chaos einer Schlampe, nicht aber auf diesen bescheidenen Zufluchtsort, dieses stille Zuhause, diesen ruhigen Arbeitsplatz. Das Ganze kam ihm äußerst rätselhaft vor.
»Okay«, sagte er, »durchsuchen wir die Wohnung.«
»Und wonach suchen wir?« fragte Katekar.
»Nach einer Antwort auf die Frage, wer diese Frau war.«
Katekar machte sich an die Arbeit, aber er tat es ungeduldig, schnell, mißbilligend. Sartaj wußte, daß ihm der glasklare, geradlinige Verlauf eines durchschnittlichen Mordfalles lieber war: Da hatte man eine Leiche und einen oder mehrere unbekannte Täter, und man suchte nach einem Motiv. Hier aber waren zwei Menschen tot, von denen einer offensichtlich den anderen umgebracht hatte - was spielte es da noch für eine Rolle, in welcher Beziehung sie zueinander gestanden hatten? Wie sollte man das herausfinden? Und wieso sollte man sich überhaupt damit befassen? Wen kümmerten schon ein Gangster und eine Zuhälterin? Katekar sagte nichts, aber Sartaj wußte, daß er insgeheim fluchte. Ein beschissener Fall war das in seinen Augen und eine beschissene Frau aus Delhi. Es fiel ihm nur ein Wort für das alles ein: jhav 293 .
»Jhav-jhav-jhav«, sang Sartaj leise vor sich hin. Als erstes nahm er sich das Schlafzimmer vor, weil es das einfachste war. Verwertbares würde man eher im Büro finden, aber das Schlafzimmer mußte ebenfalls gefilzt werden. In einem tiefen Einbauschrank, der sich über die ganze Länge des Raumes zog, hingen dicht an dicht Saris, Blusen, Ghagras 219 , Hosen, Jeans, T-Shirts und Hemden. Das Ganze hatte System, eine weibliche und sehr persönliche Logik, die Sartaj nicht ganz durchschaute, die ihn aber stark an die Anordnung seiner eigenen Hemden nach Farbtönen von rot bis blau erinnerte. Der Schrank machte ihm Jojo sympathisch. Ihr Faible für Schuhe gefiel ihm, ihre Vorliebe für Leder, ihr Sinn für die verschiedenen Funktionen von Schuhen - man mußte drei Paar Sneakers besitzen, von schlicht bis hightech, und es gefiel ihm, daß sie ganz rechts in der untersten von drei stufenförmig angeordneten Reihen mit Sandalen und Stiefeln, Chappals und Stilettos standen. Die Wohnung war einfach, fast kahl, die Kleider hingegen extravagant. Auch das gefiel Sartaj.
Doch wie erwartet, fand sich im Schlafzimmer nichts, was von besonderem Interesse gewesen wäre. Weitere Fächer über dem Kleiderschrank enthielten noch mehr Kleidung, alte
Weitere Kostenlose Bücher