Der Pate von Bombay
Lampen und Geschirr, in den Schubladen des Toilettentischs fanden sich Kosmetika und Nähzeug, und neben dem Bett stapelten sich Ausgaben von Femina, Cosmopolitan, Stardust und Elle . Das war alles.
Katekar war mit dem Wohnzimmer fast fertig, als Sartaj in den Flur trat. »Ihre große Handtasche lag hinter der Arbeitsplatte in der Küche«, sagte er. »Auf dem Boden. Einfach so.«
»Irgendwas drin?«
»Ein Lippenstift. Kein Führerschein, dafür aber eine Wahlkarte und eine PAN-Card 470 .«
Er hielt Sartaj die Karten hin. Auf beiden stand der Name Juliet Mascarenas. Zum ersten Mal sah Sartaj ihr Lächeln. Sie wirkte überaus lebendig auf den Fotos und sah mit blitzenden Augen in die Kamera, als wüßte sie etwas über den Betrachter.
»Sonst noch was?« fragte Sartaj.
»Nein. Komisch nur, daß es nirgends Fotos gibt.«
»Fotos?«
»Fotos. Kein einziges, in der ganzen Wohnung. Ich kenne keine Frau, bei der es nicht von Fotos wimmelt.«
Katekar hatte recht. Megha hatte bei ihrem Auszug eine Menge Fotos mitgenommen, und trotzdem hatte Sartaj noch einen Sonntagnachmittag damit zugebracht, Bilder von den Wänden zu nehmen und in einen Schuhkarton zu packen. Und auch bei Ma war die Wohnung damit gepflastert - Stationen der Familie und ihrer diversen Zweige, mit allen Querverbindungen und Verlusten.
»Vielleicht bewahrt Jojo sie ja in ihren Aktenordnern auf«, sagte Sartaj. Sie gingen in das Büro. Die Ordner standen in einem schwarzen Regal und waren säuberlich beschriftet: »D'Souza Schuhwerbung«, »Sharmila Restaurant Kampagne«. Das unterste Brett war so voll, daß sie sich kaum herausnehmen ließen.
»Schauspieler?« fragte Katekar.
»Ja, und Schauspielerinnen.« Die Ordner für die Männer standen rechts, die für die Frauen links, in alphabetischer Reihenfolge, jeweils mit Foto und einer Kurzinformation auf dem Rücken: Anupama, Anuradha, Aparna. Noch keine gestandenen Schauspielerinnen, aber jung und hoffnungsvoll. Voller Hoffnung. Und es waren viele, zu viele. Den meisten würde der Erfolg versagt bleiben, und dennoch strömten immer mehr von diesen jungen Dingern in die Stadt aus Gold. Auf diesem Überschuß und diesem Hunger, auf dieser simplen Gleichung fußte Jojos Geschäft. Sartaj und Katekar suchten und suchten, zogen Schubladen auf, griffen nach weiteren Ordnern. Der dritte Schlüssel an Jojos Schlüsselbund gehörte zu einem halbhohen Metallschrank, der ihre Sparbücher, Scheckhefte und Kontoauszüge enthielt, außerdem eine Kassette mit Schmuck: zwei Goldketten, drei Paar unterschiedlich gemusterte Armreife, eine Perlenkette, Brillantohrringe und ein Gewirr aus Silberschmuck.
»Wo ist das Bargeld?« fragte Katekar. »Wo bewahrt sie ihr Bargeld auf?«
In Jojos legalem Fernsehbusiness wurde das meiste wahrscheinlich mit einwandfreien Schecks abgewickelt. In ihrer kleinen Prostitutions-Zweigstelle dagegen floß ausschließlich Bargeld, soviel war sicher, und nicht zu knapp. Doch in dem Metallschrank war es nicht. Auf die Bank konnte man es auch nicht bringen. Wo war es also? Sartaj ging in den Flur hinaus, sah sich in der Küche und dann im Wohnzimmer um. Er nahm einen gerahmten Druck von der Wand. Das Bild zeigte eine sattgrüne Waldlichtung, doch dahinter war nur die Wand. Im Bad stieg Sartaj auf den Rand der Wanne und klopfte die Kacheln an der Decke ab. Alles fest, keine versteckten Hohlräume, keine Geheimfächer hinter dem Wassertank über der Tür. Als er in den Flur zurückging, sah er, daß Katekar die Schränke und Tische im Büro von den Wänden gerückt hatte und auf Knien die Fußbodenleisten untersuchte. In dieser Stadt verstand man etwas vom Geldverstecken: Die Kunst, Regale und Kopfteile von Betten zu bauen, die zur Seite glitten, wenn man auf einen geheimen Knopf drückte, war hier zur Perfektion entwickelt worden. Einmal hatten sie Goldbarren im gebauschten Saum üppiger roter Brokatvorhänge gefunden. Es nannte sich Schwarzgeld, doch für Sartaj war es grau: Es war illegal und eine Pest, aber die Steuern waren auch eine Pest und dabei legal, deswegen empfand er keinerlei Verachtung für Leute, die ihr Geld heimlich horteten. Jojo allerdings hatte ihres damit verdient, daß sie junge Frauen an Männer mit schmierigen Gelüsten verkaufte, und deshalb war ihr Geld schwärzer als das meiste andere, trotz ihrer sonstigen Reinlichkeit. Wo war es, dieses stinkende Geld, dieser Haufen Papier, der nach verkrusteten Hotel-Bettlaken und getrocknetem Schweiß roch? Nicht in dem rosa
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