Der Pate von Bombay
verschwinden, mehr nicht. Niemand würde unangenehme Fragen zum Schwarzgeld einer toten Puffmutter stellen. Der Betrag war so gering, daß man sein Fehlen gar nicht bemerken und Katekars Grundsatz der Vorsicht nicht verletzt werden würde. Niemand würde etwas merken, es sei denn, Jojo hatte Buch geführt oder jemandem von dem Versteck erzählt. Unwahrscheinlich, aber möglich. Doch in einem brisanten Fall, für den sich Delhi und der RAW interessierten, war das Risiko zu groß. Sartaj und Katekar wechselten einen Blick, und die Entscheidung war gefallen.
»Die Alben«, sagte Sartaj energisch und nahm sie heraus. Das erste Foto im ersten Album zeigte eine jüngere Jojo, eine um viele Jahre und viel Erfahrung jüngere. Sie trug ein rotes Kleid, ein Kinderkleid fast noch, mit eckigem Ausschnitt und hoher Taille. Sie mußte ungefähr sechzehn sein und saß auf einem schwarzen Sofa, untergehakt bei einer jungen Frau mit dem gleichen breiten Lächeln. Auch auf den nächsten Seiten waren die beiden zu sehen, lachend auf einem Bett, am Strand, auf einem Balkon vor der Skyline von Mumbai.
»Schwestern«, sagte Katekar.
»Stimmt. Aber wer hat die Fotos gemacht?« Sartaj blätterte weiter durch die Seiten voller Liebe und Glück. Dann kam ein leeres Blatt, ganz weiß, aber ein Abdruck verriet, daß einmal ein Bild unter der Folie gewesen war. Das nächste Blatt zeigte die beiden Schwestern wieder, diesmal in den Hängenden Gärten, danach fehlte alle zwei, drei Seiten ein Foto. In der Mitte des Albums feierten die Schwestern Geburtstag. Es war keine richtige Party, man sah nur die beiden, einen Eßtisch mit Geschenken und eine rosa Torte mit dickem Guß.
»Der siebzehnte«, sagte Katekar. Er war ein schneller Rechner und hatte die Anzahl der Kerzenflammen sofort erfaßt.
Sartaj blätterte weiter: Die restlichen Seiten des Albums waren leer. Das Fotografieren hatte abrupt aufgehört. Sartaj legte das Album beiseite und schlug das nächste auf. Es enthielt Kinderfotos. Die Schwestern in weißen Schulblusen und dunklen Röcken, auf einem anderen Bild barfuß und mit Zöpfen, die wie Flügel vom Kopf abstanden, fröhlich lachend vor einem Haus mit einem mächtigen steinernen Türsturz, einer dicken Holztür und einem sonnenbeschienenen Hof. »Ein Dorf«, sagte Sartaj. »Aber wo?«
»Im Süden«, meinte Katekar. »Irgendwo im Süden. In Konkan.«
Dann standen sie mit ihrer Mutter in einem Fotoatelier, beide Mädchen in genau den gleichen blauen Kleidern mit Puffärmeln und Spitze um den Halsausschnitt. Die Mutter trug Schwarz, ein schlichtes, langärmeliges Kleid, in ihrem Haar schimmerten graue Strähnen, und in dem Kreuz an ihrem Hals fing sich das Licht. Sie lächelte, wenn auch zaghaft. »Kein Vater«, sagte Sartaj.
»Kein Vater weit und breit. Was ist das, eine Farm?«
Die Schwestern spielten unter Bäumen, in einem von grünem Licht durchfluteten Wäldchen, sie liefen zwischen langen Reihen von Pflanzen hindurch, deren Blätter sich an den Rändern aufrollten. »Ich weiß nicht.« Sartaj verstand weder etwas von Bäumen oder sonstigen Pflanzen noch von Farmen. Es war eine andere Welt.
Das letzte war ein altmodisches Album mit dicken schwarzen Seiten, wie es heute nicht mehr hergestellt wurde. Das erste Bild steckte in schwarzen Fotoecken. Er und Katekar sagten gleichzeitig: »Der Vater.« Der Vater saß in der steifen Haltung da, die Männer und Frauen einer früheren Generation vor der Kamera einzunehmen pflegten, förmlich, wie sie es einem seltenen Ereignis zu schulden glaubten. Er trug eine weiße Uniform und hielt sich sehr gerade, die rechte Faust in die Seite gestemmt.
»Marine«, sagte Katekar.
»Handelsmarine.«
Der Vater hatte die Augen der Töchter, groß und direkt. Auf den nächsten Seiten war nur ein Kind zu sehen, das die Eltern zwischen sich an den Händen hielten. Dann plötzlich das zweite Kind, ein zahnloses Lachen im runden Gesicht, feines Haar, Hände und Füße der Kamera entgegengestreckt. Über dem Bild der Name, in verschnörkelter weißer Schrift auf die schwarze Pappe gemalt: Juliet.
»Ju-li-et?« sagte Katekar
»Ja. Wie die von Romeo.«
Katekar lachte herzhaft. »Dann ist aus Juliet Jojo geworden? Und Gaitonde war ihr Romeo?« Rom-jo, sagte er, und Sartaj fand seine Belustigung unfair und häßlich, sein schallendes Gelächter tat ihm in den Ohren weh. Katekar erschien ihm in diesem Moment sehr grob, proletarisch wie ein Ganwar, und er verbesserte ihn gar nicht erst. Er hatte das
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