Der Pate von Bombay
Badezimmer und auch nicht in ihrer Matratze. Sartaj nahm die Kleider aus ihrem Schrank und warf sie zu einem Haufen verschwenderischer purpurroter, weißer und tiefgrüner Seide aufs Bett. Er untersuchte die Wände des Schrankes, klopfte und drückte und atmete Jojos Duft ein, den Hauch ihres Körpers und ihrer Parfüms. Er hielt inne, die Handflächen an der Decke des Schrankes, dann setzte er sich aufs Bett, ließ sich auf Kaskaden von Blusen und Röcken nieder. Wo hast du's versteckt? Wo? Am wahrscheinlichsten war das Bad, denn hinter Kacheln konnte man leicht etwas einbauen, andererseits war das ein allzu abgenutztes Klischee. Bei Hema Malini, Meena Kumari und einem halben Dutzend anderer Filmstars hatte man die Scheine in der Toilette gefunden. Jojo war raffinierter, davon war Sartaj überzeugt.
Er lehnte sich zurück, und allmählich wurde ihm klar, was es mit Jojos Schuhen auf sich hatte. Das Schuhregal unten in ihrem Schrank war aus demselben Holz wie der Schrank und nahm fast dessen ganze Breite ein. Auf dem untersten Regal standen die Freizeitschuhe, ganz rechts die Sneakers, daneben bunte Bata-Gummichappals, dann kam eine ganze Kollektion Kolhapuri-Chappals. Das mittlere Fach enthielt bequeme Schuhe, praktische und robuste, solche, die man zur Arbeit trug und den ganzen Tag anbehalten konnte. Nach links ging die Reihe in Stiefel über, klobige mit dicken, langen Schnürsenkeln und allerlei Schnickschnack, und das oberste Fach fing rechts mit einem Paar weicher schwarzer Stiefel an, die Jojo bis in die Mitte der Oberschenkel gereicht haben mußten. Dann wurden die Stöckelschuhe immer zierlicher und gefährlicher, Obermaterial und Riemchen immer dünner, und in dem Paar ganz links, einem flammend bernsteinfarbenen Nichts mit spitz zulaufenden Pfennigabsätzen und einem einzigen diagonal verlaufenden Riemen, mußten Jojos Füße nackter gewirkt haben als ohne alles. »Toll, Jojo«, sagte Sartaj. »Das nenne ich Schuhe, Jojo.«
Er stand auf, räumte das mittlere Brett frei und zog daran. Es saß fest. Er neigte den Kopf und betrachtete den Schrankboden unter dem Regal und die Rückwand. Die obere Reihe lief von den Stiefeln zu den Stilettos hinab, und Sartaj sagte: »Du bewegst dich von rechts nach links, Jojo.« Er beugte sich vor, breitete die Arme weit aus, faßte das oberste Brett an den Seiten und zog auch daran. Wieder rührte sich nichts. Doch dann rutschten seine Finger ab, und er fühlte eine Rille, zwei Rillen, auf jeder Seite eine, fingertief, sieben oder acht Zentimeter lang: Griffe. Sartaj berührte mit der Nasenspitze einen von Jojos schwarzen Stilettos, und sein Puls ging schneller. Jetzt hab ich dich. Er faßte in die Griffe, zog und zerrte - nichts. Das Brett rührte sich nicht. Doch dann gab unter seinen Fingern etwas kaum merklich nach. Er preßte den Handballen gegen die Oberseite des Bords und drückte, als betätigte er eine schwergängige Motorradbremse, und plötzlich öffnete sich eine Verriegelung. Er drückte auf beiden Seiten und zog, schließlich löste sich das ganze Gestell von der Rückwand des Schranks. Die Chappals, Stiefel und Riemchensandalen ergossen sich auf den Boden. »He, Katekar«, rief er. »Katekar!«
Erfreut spähten sie in das sechzig Zentimeter tiefe Fach, in dem Jojo ihre Geheimnisse versteckt hatte. Natürlich war Bargeld darin: Bündel von Hundert- und Fünfhundert-Rupien-Scheinen, links an der Rückwand ordentlich gestapelt. Routiniert maß Katekar sie zwischen Daumen und kleinem Finger der linken Hand. »Nicht viel«, sagte er. »Fünf oder sechs Lakhs. Sehen aus wie die von Gaitonde.« Die Fünfhunderterbündel waren ganz neu, noch mit den Banderolen der Central Bank of India, übereinandergeschichtet und in die gleiche Schrumpffolie verpackt wie bei Gaitonde.
»Gaitonde muß sie bezahlt haben«, sagte Sartaj.
»Für ihre Randi-Dienste.«
Rechts, ebenfalls an der Rückwand, lagen drei schwarze Fotoalben aufeinander. Doch Sartaj hatte es nicht eilig, sich in Jojos geheimes Leben zu vertiefen. Er war noch bei dem Geld, und Katekar ebenso, das verriet sein langsames, durch die unbequeme Hockstellung leicht gepreßtes Atmen. Das Geld war höchst problematisch: Schwarzgeld, das in der Wohnung einer Toten gefunden wurde, war normalerweise ein Geschenk für den tüchtigen Polizisten. Nicht die ganze Summe - etwa fünf von den sechs Lakhs würden das Überraschungsgeschenk sein, ein Lakh würde im Protokoll erwähnt werden und damit im Rachen des Staates
Weitere Kostenlose Bücher