Der Pate von Bombay
alle anderen Jogger überholte. Sartaj mußte sich ziemlich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten.
»Ich frage mich, was die Kinder in diesen neuen Schulen eigentlich lernen«, sagte Parulkar. »Ajay kann mit seinen fünfeinhalb Jahren immer noch nicht lesen - wie ist das möglich? Und das nennt sich die beste Schule in ganz Mumbai! Wir mußten tausend Beziehungen spielen lassen, um den Jungen da reinzukriegen.«
Ajay war Parulkars Enkel und im zweiten Vorschuljahr an der gerade eröffneten, hypermodernen Dalmia School. »Das ist eine neue Unterrichtsmethode, Sir. Man will die Kinder nicht unter Druck setzen.«
»Ja, ja, aber ›Kuh‹ und ›Rad‹ müßten sie inzwischen doch wenigstens lesen können. Wir beide hatten früher auch Druck, und das hat uns nicht geschadet.«
Sie überholten Parulkars Bodyguards und begannen eine neue Runde. »Mir hat der Druck nicht so gut getan, Sir. Ich hatte eine Heidenangst vor den Prüfungen.«
»Are, so schlecht warst du gar nicht. Du hattest nur ständig andere Dinge im Kopf, Kricket und Kino und später dann Mädchen.« Parulkar grinste. »Weißt du noch, wie ich dich beim Pauken einmal bewachen mußte?«
Sartaj war damals fünfzehn gewesen. Er hatte es sich schon fast zur Gewohnheit gemacht, durch das Fenster auszubüchsen, wenn er zu Hause hätte büffeln sollen, und schließlich hatte Parulkar sich erboten, in der Nacht vor seiner Mathematikprüfung auf ihn aufzupassen. Sie hatten viel Spaß miteinander gehabt, hatten aufgeschäumten Nescafé getrunken und Orangen und kleine Bananen gegessen, und Parulkar hatte sein Talent, komplexe Probleme auf einfache Fragen zu reduzieren, unter Beweis gestellt. Sartaj hatte die Prüfung mit achtundfünfzig von möglichen hundert Punkten bestanden, das beste Ergebnis, das er in Mathematik je erzielt hatte. »Ja, Sir. Und der Chowkidar 126 hat geschlafen.«
Sie hatten den schlummernden Chowkidar mit Orangenschalen beworfen, und jetzt mußten sie wieder wie damals lachen.
»Aber nun zum Dienstlichen, Sartaj.«
»Ja, Sir.« Das hieß, daß der Frühsport, der weitgehend von dienstlichen Belangen freigehalten werden sollte, beendet war.
»Ich habe einen Kontakt zur S-Company für dich. Sie heißt Iffat-bibi 089 , eine Tante mütterlicherseits von Suleiman Isa. Sie gehört seit langem zu seinen wichtigsten Leuten hier in Mumbai. Sie ist alt, aber laß dich dadurch nicht täuschen. Sie ist hochintelligent, äußerst skrupellos und eine seiner Hauptstützen.«
»Ja, Sir.«
»Du erreichst sie unter dieser Nummer hier.« Parulkar gab Sartaj einen zusammengefalteten Zettel. »Nachmittags ist sie immer da. Sie erwartet deinen Anruf.«
»Danke, Sir, das ist großartig.«
Parulkar zuckte die Schultern und wedelte abwehrend mit der Hand. »Und sei vorsichtig. Egal, was für Informationen du von ihr bekommst - umsonst kriegst du sie nicht. Früher oder später wird sie auch etwas von dir wollen. Versprich also nichts, was du nicht liefern kannst.«
»Klar, Sir.«
»Interessante Frau. Es soll mal eine Zeit gegeben haben, da wurden ihretwegen Männer umgebracht. Ich hab sie aber erst kennengelernt, als sie schon alt war. Damals dachte ich, daß sie einmal eine Schönheit gewesen sein muß, aber nie die Trophäe irgendeines Mannes. Wenn einer ihretwegen getötet wurde, dann weil sie es wollte. Das steht für mich fest. Felsenfest.«
»Ich passe schon auf, Sir.«
Parulkars Training war beendet, aber er behielt sein Tempo bis zu seinem Wagen bei. Sartaj schaute ihm nach. Er hatte so viel von ihm bekommen, sich im Grunde aber nie dafür erkenntlich gezeigt. »Man bekommt im Leben nichts geschenkt«, hatte eine von Parulkars ersten Lektionen gelautet, doch Sartaj hatte das Gefühl, sich nie angemessen revanchiert zu haben. Vielleicht würde er irgendwann zur Kasse gebeten werden.
An diesem Vormittag folgten Sartaj und Katekar Manikas Hinweis auf die Glamour-Kavita, die im Pritam getanzt und dann den äußerst seltenen Sprung in die höheren Sphären des Showbusiness geschafft hatte. Ihr richtiger Name lautete Naina Aggarwal, und sie stammte aus Rae Bareilly. Der Manager der Pritam Dance Bar besah sich ihr Bild und nannte ihnen den Titel der Serie, in der sie mitspielte: 47 Breach Candy. Er schaute sich jede Folge an und war sehr stolz auf Kavita, obwohl sie sich, seit sie ein Fernsehstar war, nie mehr bei ihm gemeldet hatte. Der Besitzer von Jazz Films, der Produktionsfirma von 47 Breach Candy , gab Sartaj ihre Telefonnummer und Adresse
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