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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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wie bei Gaitonde.«
    Sartaj nickte. Die Männer - alle drei hatten den gleichen Haarschnitt und trugen die gleichen Schuhe - waren auch in Gaitondes Bunker gewesen. Was für Schuhe trug Anjali Mathur zu ihrem braunen Salvar-kamiz? Er hatte nicht darauf geachtet, es war alles zu schnell gegangen. Wahrscheinlich ungeheuer vernünftige, flache, robuste. Sie war der Typ dafür mit ihrem straff zurückgekämmten Haar, dem gekonnt über die Schulter geworfenen Dupatta 185 und der viereckigen braunen Ledertasche mit den dicken Griffen, groß genug für alles, was eine internationale Agentin bei ihren Missionen benötigte. Die Luft vor dem Aufzug war abgestanden und sehr heiß, und Sartaj spürte, wie sich an seinen Unterarmen der Schweiß sammelte. Er begann tief zu atmen, in einem Rhythmus, den er sich bei tausend Observierungen antrainiert hatte. Wenn er es richtig hinbekam, schwanden Hitze und Schweiß, und die Zeit zog sich in sich selbst zurück, bis sie wirbelnd zum Stillstand kam. Dann war er von der Welt befreit und doch noch immer in ihr. Aber er mußte es richtig machen. Er atmete, und auf der anderen Seite der Tür hörte er Katekar, der sich in der drückenden Stille ebenfalls zu entspannen suchte. Sie schwitzten gemeinsam, und nach einer Weile atmeten sie auch gemeinsam. Sartaj schwebte empor und entschwand in Räume seiner Kindheit, in denen er mit Feuereifer seine Turnschuhe für den morgendlichen Sportunterricht weißte und sie dann Papa-ji zeigte, der es mit dem perfekten Weiß sehr genau nahm, viel genauer als irgendein Lehrer in der Schule. Er hatte seinem Sohn eingebleut, daß schlampige Schuhe die Wirkung selbst der besten Kleidung zunichte machen konnten und daß, umgekehrt, ganz alltägliche Kleidung durch weiche, spiegelblank polierte dunkelbraune Halbschuhe zu etwas Prächtigem werden konnte. Wo waren Papa-jis Schuhe geblieben, diese akkurat ausgerichteten schwarzen und braunen Reihen in dem schmalen Schrank links neben dem Kleiderschrank? Und was war aus seinen Anzügen geworden, aus jenem Wollgeruch regenschwerer Berghänge mit einem Hauch Mottenpulver? Weggepackt und weggegeben. Verschwunden, selbst das weiße Hemd, das ihm ein Freund aus Manila mitgebracht und das seinen aufgezwirbelten Schnauzer und den nach vorn geschwungenen Bart so schön zur Geltung gebracht hatte, dieses Hemd, das er an seinem siebenundsechzigsten Geburtstag hinreißend extravagant zu einer grauen Twillhose und einem pechschwarzen Turban getragen hatte. Sartaj hatte lachen müssen vor Bewunderung, als er ihn den Kiesweg vor dem Haus entlangkommen sah. Am Abend aber, als sie auf dem Rückweg vom Restaurant die drei Stockwerke zu einem neuen Einkaufszentrum emporstiegen, hatte Papa-ji auf dem zweiten Treppenabsatz verschnaufen müssen, und Sartaj hatte sich abgewandt, hatte den Blick starr auf die Leuchtreklamen draußen gerichtet und auf das leise, an- und abschwellende, flatternde Atmen gelauscht, das Leben, das sich wiederfand und weiterging, und er hatte sich gefürchtet.
    »Inspektor Singh?« Makand streckte seinen grauen Rundkopf in den Flur. »Kommen Sie bitte herein.« Die Aufforderung galt nur Sartaj.
    Anjali Mathur saß am Eßtisch. Sie zeigte auf eine Flasche mit kaltem Wasser und einige Gläser. »Tut mir leid, daß Sie draußen warten mußten. Der Fall ist so gelagert, daß wir sehr vorsichtig sein müssen.«
    Ihre kleine Armee war nicht im Raum; vielleicht durchsuchten sie das Schlafzimmer. Sartaj schenkte sich ein Glas ein, trank und wartete ab. Das Wasser war herrlich kalt. Er war es zufrieden, einfach nur zu trinken und zu schweigen, weil er keine Ahnung hatte, um was für eine Art von Fall es sich handelte. Anjali Mathur hatte sehr helle Augen und einen sehr direkten Blick, und sie wartete ihrerseits darauf, daß er etwas sagte. Er schenkte sich noch einmal ein und trank, langsam jetzt, Schluck für Schluck. Da der Fall so gelagert war - wie auch immer -, hatte er nichts zu gewinnen, wenn er sprach. Er erwiderte ihren Blick, nicht herausfordernd, eher lässig, immer wieder trinkend, doch ohne wegzuschauen.
    Sie bewegte sich leicht, und auf ihrem Gesicht erschien die Andeutung eines Lächelns. »Wollen Sie wissen, mit was für einem Fall wir es zu tun haben?«
    »Sie werden mir sagen, was ich wissen muß.«
    »Viel kann ich Ihnen nicht sagen, außer daß es um eine größere Sache geht. Eine sehr große.«
    »Ja.«
    »Was sagen Sie dazu?«
    »Es macht mir angst.«
    »Freuen Sie sich nicht, daß man Sie

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