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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Gefühl, die Juliet von einst, die Juliet einer Zeit, bevor es eine Jojo gab, schützen zu müssen. Auf den folgenden Seiten wuchs sie in der Obhut von Mutter und Schwester heran. Bald nachdem sie laufen gelernt hatte, begann die Mutter ihre Töchter wie Zwillinge anzuziehen, gleiche Kleider, gleiche Frisur, gleiche Haarschleifen. Das erste Bild aus dieser Zeit war in einem Fotoatelier aufgenommen worden. Hand in Hand standen sie vor dem Eiffelturm, der sich im Hintergrund elegant in einen roten Himmel emporschwang, darunter fanden sich zwei Namen in weißer Tinte: »Mary« und »Juliet«, mit einem Schnörkel dazwischen.
    »Mary Mascarenas«, sagte Sartaj. Die Schwester.
    Als Juliet zehn oder elf war, endete der Zwillingslook. Auf einem Geburtstagsbild hatte sie kurze Haare, viel kürzere als Mary, einen frechen Bubikopf, und um den Hals eine leuchtend bunte Perlenkette. Ihr Kleid war das gleiche wie das ihrer Schwester und doch irgendwie anders. Sie trug es anders. Juliet hatte gelernt, sich zu behaupten, sie war selbstbewußter geworden und bot ihrer Mutter die Stirn. Sartaj gefielen die kecke, lebensfrohe Haltung, der herausfordernde Blick. Mary wirkte viel ernster.
    In Jojos dickem Adreßbuch stand unter M »Mary«, mit privater und dienstlicher Telefonnummer und einer Adresse in Colaba. Doch die Nummer war nicht mehr aktuell. Sartaj wußte, daß das Telefonnetz in Colaba vor mindestens sieben, acht Jahren auf digital umgestellt und die Vermittlung automatisiert worden war. Hatte Jojo acht Jahre nicht mehr mit Mary telefoniert? Sie brachten die Wohnung wieder in Ordnung, stellten alles an seinen Platz zurück und ließen nur den Schrank im Schlafzimmer so, wie er war. Dann rief Sartaj die Delhi-vaali an.
    Sie warteten in Jojos Büro auf sie. Sartaj drehte sich auf dem Schreibtischstuhl langsam hin und her und sann über Schwestern und ihre Streitigkeiten nach. Ma erzählte oft von Mani, ihrer älteren Schwester, und deren Sturheit, ihrer törichten kommunistischen Weigerung, sich Hilfe ins Haus zu holen, obwohl sie schon so lange krank und schwach war -was ist, wenn sie wieder einen Schwächeanfall hat und die Treppe runterfällt oder so, wie oft hab ich ihr gesagt, sie soll hierherkommen und bei mir wohnen, aber sie ist ja dermaßen stur. Sartaj brachte es nicht über sich, seiner Mutter klarzumachen, daß sie, Ma, die jüngere Schwester, genauso dickköpfig war, genauso auf ihre kratzbürstige Unabhängigkeit bedacht, daß sie genauso an dem Haus hing, das sie gebaut hatte, an den hohen Wänden, den schimmernden Fußböden und dem vertrauten Licht, den stillen Fluren.
    Auch Jojo hatte sich ein Heim geschaffen, und sie hatte es sich hart erarbeitet. Neben dem Spülbecken in der Küche hatten Sartaj und Katekar in einem kleinen Unterschrank einen Werkzeugkasten und zwei Reihen Wandfarbe in verschiedenen Tönen gefunden. Jojo hatte die Zimmer selbst gestrichen. Im Kühlschrank standen Plastikdosen mit Essensresten. Jojo hatte nichts weggeworfen. Sie war sparsam gewesen, trotz ihrer extravaganten Schuhkollektion. Und energisch war sie, dachte Sartaj. Das sah man auf den Fotos. Sie mußte gute Arbeit geleistet haben.

    Die Delhi-vaali kam schnell. Es waren keine zwanzig Minuten vergangen. Aus Jojos Wohnzimmerfenster sahen Sartaj und Katekar sie in einem schwarzen Ambassador rasch auf das Gelände des Hauses einbiegen. Autotüren wurden zugeschlagen, und kaum zwei Minuten später klopfte es an der Tür.
    Ganz außer Atem führte Anjali Mathur ihre Leute in die Wohnung. Diesmal trug sie ein dunkelbraunes Salvar-kamiz. Der Mann direkt hinter ihr war Makand, der Sartaj aus Gaitondes Bunker geschickt hatte. »Das Schlafzimmer?« fragte Anjali Mathur.
    Sartaj deutete auf eine Tür. Am Telefon hatte er ihr bereits Jojos richtigen Namen genannt, sie über ihre Berufe und ihre Schwester informiert sowie auf das Geheimfach in dem Kleiderschrank hingewiesen. Er hatte eine Festnetznummer gewählt; der Anruf mußte auf das Handy umgeleitet worden sein, das sie in der linken Hand hielt.
    »Könnten Sie draußen warten?« sagte sie über die Schulter, während sie das Zimmer durchquerte. Einer ihrer kurzgeschorenen Lakaien hatte bereits die Hand am Türgriff, und kaum war Katekar draußen, wurde die Tür energisch geschlossen. Sartaj und Katekar blieben im Flur stehen, zu verblüfft, um sich zu ärgern.
    Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. »Diese Chutiyas, die sie dabei hat«, sagte Katekar, »das sind dieselben

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