Der Pate von Bombay
Schnellstraße. Meine Familie war eine der ersten in Navnagar. Damals wohnten dort fast nur Leute aus UP und Tamil Nadu. Diese Bangladeshis kamen erst später. Und zwar viel zu viele, aber was soll man machen? Jetzt habe ich eben auch mit denen zu tun.«
»Kannten Sie auch die Apradhis? Und diesen Bihari, ihren Boß?«
»Nur vom Sehen, Inspektor-saab. Nicht so gut, daß man sich gegrüßt hätte, aber ich kenne Leute, die sie kennen. Und jetzt dieser Mord. Schlimme Sache. Die kommen von weiß Gott woher und tun schlimme Dinge in unserem Land. Und ziehen den Namen anständiger Leute, die hier geboren sind, in den Schmutz.«
Er meinte die indischen Muslime; die Hindu-Fundamentalisten verfolgten sie mit ihrem Haß und setzten grobe Verleumdungen über sie in Umlauf. Sartaj lehnte sich zurück und strich sich über den Bart. Interessant, dieser Wasim Zafar Ali Ahmad. Wie die meisten sogenannten Sozialarbeiter wollte er es zu etwas bringen, wollte in seinem Revier ein großer Mann werden, ein Mann mit Beziehungen, die ihm eine gewisse Klientel zuführen würden, ein Mann, auf den die Parteien aufmerksam würden, weil er in seinem Umfeld Dinge in Bewegung setzte und ehrenamtlich tätig war und irgendwann für ein politisches Amt in Frage kam. Man hatte Sozialarbeiter sogar schon in die gesetzgebende Versammlung und ins Parlament gewählt. Ahmad besaß das Politikertalent, Klischees von sich zu geben, ohne lächerlich zu wirken. Er machte einen intelligenten Eindruck und verfügte möglicherweise auch über die nötige Energie und Skrupellosigkeit. »Sie möchten mir also im Interesse des Landes und der anständigen Bürger bei der Aufklärung des Falles behilflich sein?« fragte Sartaj.
»Selbstverständlich, Inspektor-saab, selbstverständlich.« Ahmads Freude darüber, verstanden zu werden, kam aus dem Bauch, aus seinem tiefsten Innern. Er stützte die Ellbogen auf Sartajs Schreibtisch und beugte sich zu ihm vor. »Ich kenne Gott und die Welt in Navnagar, und auch im Bengali Bura habe ich jede Menge Kontakte. Ich habe beruflich dort zu tun, ich kenne die Leute und kann unauffällig Fragen stellen, verstehen Sie? Mich umhören, was die Leute sagen, was die Leute wissen.«
»Und was wissen Sie selbst bis jetzt? Wissen Sie überhaupt irgend etwas?«
Ahmad lachte in sich hinein. »Are, nein, Inspektor-saab, nein, aber ich kann mit Sicherheit die eine oder andere Kleinigkeit in Erfahrung bringen.« Er lehnte sich wieder zurück, rund und selbstzufrieden.
Sartaj gab auf. Ahmad war nicht so dumm, einen guten Tip gratis abzugeben oder seine Informanten zu nennen. »Gut«, sagte er. »Ich bin Ihnen für jede Unterstützung dankbar. Gibt es irgend etwas, was ich für Sie tun kann?«
Jetzt verstanden sie einander. »Ja, Saab, da gibt es tatsächlich etwas.« Ahmad schob seinen Charme beiseite und sprach ruhig und ohne Umschweife. »In Navnagar wohnen zwei Brüder, junge Kerle, der eine neunzehn, der andere zwanzig. Sie belästigen die Mädchen, wenn sie zur Arbeit gehen, werfen ihnen alles mögliche an den Kopf. Als ich sie aufgefordert habe, das zu unterlassen, haben sie mich bedroht. Sie haben öffentlich erklärt, sie würden mir Arme und Beine brechen. Ich könnte selbst gegen sie vorgehen, aber ich halte mich zurück. Wenn einem allerdings das Wasser bis zum Hals steht, Inspektor-saab ...«
»Namen? Alter? Wo finde ich sie?«
Ahmad hatte die Details bereits fein säuberlich notiert und riß die entsprechende Seite mit übertriebener Vorsicht aus seinem Notizbuch heraus. Er lieferte noch weitere Beschreibungen und Einzelheiten über die Familie und empfahl sich dann. »Ich habe Ihre Zeit lange genug in Anspruch genommen, Saab«, sagte er. »Aber rufen Sie mich bitte jederzeit an, wenn Sie etwas brauchen, Tag und Nacht.«
»Ich melde mich, wenn ich mir die beiden vorgenommen habe.«
»Die Einwohner von Navnagar wären überglücklich, wenn Sie ihre Schwestern und Töchter von diesem täglichen Ärgernis befreien würden, Saab.«
Damit legte Wasim Zafar Ali Ahmad die Hand auf seine Brust und entfernte sich. Er hatte von den Menschen in Navnagar gesprochen, aber Sartaj wußte so gut wie er, daß die beiden Brüder deshalb zur Räson gebracht werden sollten, weil Ahmad es so wollte. Mit dieser ersten Leistung in dem Deal sollten Vertrauen und guter Wille auf die Probe gestellt werden. Sartaj würde sich die beiden Straßenromeos vorknöpfen, deren Vergehen zweifellos nicht in erster Linie das Belästigen vorbeigehender
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