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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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lauschte, stieg ein ganz leises Knirschen des Grolls aus ihren Knochen auf, ein schwaches Scheuern des Widerstandes, kaum vernehmbar inmitten der größeren Melodie des Glücks, eines Lebens nicht ohne Schmerz, doch eines guten Lebens an der Seite ihres Mannes und ihres Sohnes. Sie war ungehörig, diese unausrottbare, nach all den Jahren noch immer aufblitzende Verstimmung über ein paar Kleidungsstücke auf dem Boden, diese leise Regung des Ärgers darüber, ständig etwas für Männer tun zu müssen, immer und immer wieder. Ja, ungehörig, zumal Sartaj so müde gewesen und zu ihr gekommen war, weil er Trost suchte. Das wußte sie. Er schlafe so tief in diesem Haus, hatte er gesagt, besser als sonst. Wie tapfer hatte er einst die erste Nacht in seinem neuen Zimmer geschlafen - sechs mußte er damals gewesen sein, vielleicht auch etwas älter als sie endlich in eine Wohnung gezogen waren, in der er sein eigenes Zimmer hatte, eine Wohnung mit Veranda und einem kleinen Garten, in dem sie Rosen gepflanzt und Saris und Uniformen zum Trocknen aufgehängt hatte. Wieviel Wäsche hatte sie in jenen frühen Tagen gewaschen, wie viele traurige Tage mit Kernseife, zerrissenen blauen Shorts und löchrigen Socken zugebracht! Hatte es solche Anflüge von Grimm schon damals gegeben, hatte sie sie unterdrückt, sie tief unter Lawinen der Liebe begraben? Prabhjot Kaur drängte diese Gedanken zurück, legte die Hände auf das alte Holz der Armlehnen und umklammerte sie fest, wiegte den Kopf vor und zurück und versuchte, nicht an jenen Ferientag in den Bergen zu denken, als sie mit Karamjeet und ihrem Sohn eine windige Hügelkette entlanggewandert war. Dennoch sah sie ein Haus in einer fernen Stadt vor sich, unendlich ferner noch, seitdem' diese Stadt jenseits einer neuen Grenze, eines langen, mit tödlichem Strom geladenen Drahtzauns lag. Und sie sah ein Haus mit grün gestrichenen Läden und einem großen, ganz neu möblierten Wohnzimmer. Durch einen dunklen Gang gelangte man von draußen in einen mit Ziegeln gepflasterten, von Bögen und anderen Räumen umgebenen Hof. In diesem Hof saßen Prabhjot Kaurs Vater und ihre Mutter, ihre zwei älteren Brüder und ihre beiden Schwestern. Und eine dieser Schwestern, die geliebte Navneet, die beste von allen, war nun für immer verloren. Fort, Navneet-bhenji war fort. Prabhjot Kaur wischte sich mit beiden Händen über die Stirn, das Gesicht. Zurückzudenken war sinnlos. Die Geschichten waren schon geschrieben, und was geschehen war, war geschehen. Zu leben, eine Familie zu haben, war nun einmal zwangsläufig mit Schmerz verbunden. Man konnte dem Leben nicht entfliehen, und der Versuch, das Leid fortzuwünschen, machte es nur noch gegenwärtiger. Sie atmete tief ein: Ertrage es. Ertrage alles, die kleinen Unzufriedenheiten des Alltags und die mörderischen Tragödien von einst, ertrage alles mit Vahegurus Hilfe und Gnade. Ertrage es für jene, die du liebst. Noch einmal atmete Prabhjot Kaur tief ein und versuchte dann, sich auf die Pflichten des kommenden Tages zu besinnen.
    Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Von draußen drang das Geräusch stetigen Tropfens, des leisen Klatschens von Wasser auf Stein herein.

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    Exkurs:
Ein Haus in einer fernen Stadt

    P rabhjot Kaur saß im Hof, der jeden Morgen gewischt wurde, und schrubbte eine große Pfanne unter der Handpumpe mit Asche. Sie war die bravste und jüngste der drei Töchter: Navneet, Maninder und Prabhjot oder auch Navneet-bhenji, Mani und Nikki 455 - Nikki deshalb, weil sie so klein war. Prabhjot Kaur half ihrer Mata-ji 405 gern bei der Arbeit, und Mata-ji pflegte zu sagen: »Schaut sie euch an, diese Nikki, diese Prabhjot Kaur, zehn ist sie erst und hilft mir mehr als ihr alle zusammen.« Nikki mußte dann aufpassen, daß Mani sie nicht zwickte, denn Mani packte mit Vorliebe die Haut innen an ihrem Oberarm, mit einem Griff, so gnadenlos eisern wie eine Zange, und dann drehte und drehte sie und flüsterte: »Dir werd ich's zeigen, du kleine Ratte!« Nikki ertrug die Blutergüsse mit Nachsicht, ja sogar Mitgefühl für Mani, die mit ihren großen Ohren und nachdem sie mit Dreizehn in einem Jahr fast acht Zentimeter in die Höhe geschossen war, wie eine Vogelscheuche aussah. Mani ging voller Zorn durch die Welt, ihre Stimme war schrill, ihre Bewegungen linkisch, in der Schule war sie nicht sehr gut, und sie saß unentrinnbar fest in ihrer Position als mittlere von drei Schwestern. Nicht einmal durch ihren Platz in der Geschwisterreihe

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