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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Katekar zu ihm hoch. »Die wird reden, Sir.«
    »Warum flüstern Sie?« Normalerweise baute sich Katekar drohend vor den Leuten auf, verkörperte mit seiner massigen Gestalt mögliche Ohrfeigen, Schläge und Tritte, während Sartaj den verständnisvollen Freund spielte, das überraschend milde Gesicht der Autorität. Zu Frauen war er stets freundlich. Mary Mascarenas aber hatte sich feindselig verhalten, und das ärgerte ihn. Vom Hof aus sah er noch einmal zu ihrer Tür hinauf, die sich in diesem Moment schloß. Ihre Wohnung lag im hinteren Teil eines alten Hauses in einer ruhigen Straße. Zwei große Bäume spendeten mit ihren ineinander verflochtenen Ästen Schatten. Das Haus war eine jener überraschenden Kostbarkeiten, die es in Bandra noch immer gab, alt und grau, mit Zugjalousien, schmiedeeisernen Balkongeländern und weiß eingefaßten Fenstern und Türen. Der Hof war mit Laub bedeckt, das unter den Füßen raschelte. Das alles hatte Charme - und war irritierend.
    Katekar hatte recht: Sie würde reden. Sartaj ging die Straße hinunter. Sie würde sich in ihren Zorn hineinsteigern, würde sich sagen, was für ein Scheusal dieser Sardar-Inspektor sei, was für ein Hurensohn, am Ende aber würde nur ihre Schuld bleiben, und es würde sie drängen, ihm zu erzählen, was passiert war, was aus Mary und Juliet Mascarenas geworden war. Sie würde beichten, damit er sie verstand. Nicht Vergebung brauchten die Überlebenden, dafür war es immer zu spät. Sie wollten nur, daß jemand in Uniform, in Robe, jemand mit drei Löwen auf der Schulter ihnen sagte: Ja, ich kann mir vorstellen, wie es dazu gekommen ist, erst ist dies passiert, dann jenes, und deshalb haben Sie dies getan und dann jenes. Aber für den Moment mußte man Mary Mascarenas sich selbst überlassen. Zunächst mußte verhindert werden, daß die Leiche durch Einäscherung entsorgt wurde, damit Mary Mascarenas ihre Schwester beerdigen konnte. Die Menschen legten großen Wert auf kleine Zeichen der Würde, kleine Illusionen. Mary würde den Kühlraum nicht zu Gesicht bekommen, Sartaj würde es ihr ersparen, mit eigenen Augen zu sehen, wie man mit toten Schwestern verfuhr. Sollte sie Jojo ruhig beerdigen. Danach würde sie reden.
    Sartaj beschattete die Augen mit der Hand und spähte aufs Meer hinaus, ein schmales Leuchten zwischen den Bäumen und den beiden Häusern unterhalb von ihm. Es war spät, Zeit nach Hause zu fahren, zu seiner Familie.

    Prabhjot Kaur saß in ihrem Schlafzimmer in einem Sessel und lauschte auf die Geräusche der Nacht. Das Haus war schwarz. Nachts schien es größer, die vertrauten Konturen wurden zurückgedrängt von einem sich regenden Dunkel, einer Abwesenheit von Licht, in der geisterhafte Farbsplitter tanzten. Prabhjot Kaur hörte Sartaj schlafen, weit entfernt, am Ende des Flurs, sie vernahm vieles um diese Zeit, das leise Knacken des alten Eßtisches, das stetige Tip-tap, Tip-tap des tropfenden Wasserhahns hinter dem Nachbarhaus, das Rascheln kleiner Tiere unter der Hecke vorn am Haus, das Summen der Nacht selbst, jene tiefe, lebendige Schwingung, die alle Geräusche verstärkte. Dies alles hörte sie und mitten darin das laute Atmen ihres Sohnes. Sie wußte, wie er lag, ausgestreckt auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht, ein Kissen an die Brust gedrückt. Er war spät gekommen, wie immer mit einer Tasche und einem vollgestopften Koffer, müde von der Bahnfahrt, aber auch von vielem anderem, das sah sie ihm an. Er hatte noch rasch geduscht und dann das Rajma-chawal gegessen, das schon auf ihn wartete. Er aß schweigend, erleichtert. Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, und ihr wurde warm ums Herz angesichts seiner vertrauten Gewohnheit, den Reis systematisch von links nach rechts aufzunehmen, ihn mit der Gabel immer wieder in Form zu klopfen. Er hatte das schon als Kind getan, die Gabel quer in der Faust. Rajma-chawal war sein Lieblingsgericht, sein Sonntagsvergnügen, und er aß den Reis gern mit viel Röstzwiebeln.
    Von Zeit zu Zeit stellte sie ihm eine Frage - ob die undichte Stelle in seinem Badezimmer in Bombay inzwischen repariert sei, ob er an seinen Chacha-ji in Delhi geschrieben habe -, aber es ging ihr dabei nicht um Sartajs Antworten, sondern um den Klang seiner Stimme. Als er aufgegessen hatte, lehnte er sich träge blinzelnd zurück, gesättigt, die Arme schlaff herabhängend. Sie nahm seinen Teller. »Geh schlafen, Beta«, sagte sie.
    Der Sessel, in dem sie nun saß, war alt, das älteste

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