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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Möbelstück im Haus, geflickt, neu bezogen, aufgepolstert, geklebt, für sie gerettet. Sartajs Vater hatte ihn eines Abends mitgebracht, hatte ihn vorsichtig von der Ladefläche eines Tempo 626 gehoben und ihre Fragen - Was ist denn das? Was hast du dafür bezahlt? - mit einem strahlenden Lächeln quittiert. Eine Stunde hatte es gedauert, bis er sie überredet hatte, in dem Sessel Platz zu nehmen, zuzugeben, daß er nicht allzu unbequem sei. Es war ihre erste große gemeinsame Anschaffung gewesen, das erste Stück in ihrem kleinen Haushalt, das nicht zu ihrer Mitgift gehörte. Jetzt war die Nacht ein weites, unbekanntes Gelände, das sie allein erkundete, eine endlose Ebene, deren Horizonte sich immer weiter ausdehnten, und sie erduldete sie in ihrem Sessel, denn wach im Bett zu liegen hätte Faulheit bedeutet. Doch nein, so war es nicht, es war nicht nur ein Erdulden, auch wenn die Einsamkeit manchmal wie ein Heuschreckenschwarm hinter ihren Lidern summte, ihr Sand in den Bauch wehte, körnig, knirschend und schmerzhaft. Etwas anderes hielt sie davon ab, zu ihrem Sohn zu ziehen oder in das geräumige Haus ihres Bruders in der nächsten Querstraße, in die turbulente Wärme von Nichten und Neffen, lauten Streitereien und eisverschmierten Gesichtern. Es war etwas so Ungeheuerliches, daß sie es nicht einmal sich selbst eingestand. Doch sie spürte es, tief in der Nacht, verborgen unter den Konturen ihres Gesichts, das sie betastete, als wäre es eine Maske, während sie bedächtig die unaussprechliche Freude des Alleinseins auskostete.
    Sie schüttelte ärgerlich den Kopf, verbot sich diesen Genuß. Es bedurfte einer vollen Minute und vier aufeinanderfolgender Bewegungen der Arme, Hüften und Beine, um aus dem Sessel aufzustehen. Sie brauchte kein Licht zu machen, als sie das Zimmer verließ und den Flur entlangging. Links stand die Kommode mit dem guten Geschirr in der ersten Schublade, in der zweiten das teure mit dem Lilienmuster, dessen hellblaue Spiralen sie so mochte. Zu ihrer Rechten in Schulterhöhe die Hochglanzfotos, die sie genau im Kopf hatte, ein mit fester Plastikfolie laminiertes Hochzeitsbild, auf dem das Rot ihres Saris tiefschwarz wirkte. Sie erinnerte sich an die zweifarbigen Schuhe des Fotografen, seinen Kopf unter dem schwarzen Tuch, ihren noch jungen Devar 158 mit seiner roten Krawatte und dem spitzbübischen Lächeln, sein »Na, komm, Pabi-ji, wo bleibt dein wunderschönes Lächeln?«. Gleißendes Licht war aufgeflammt, und sie hatte ein Lächeln zustande gebracht, das allen Verfall überdauert hatte. Und da war Sartaj als Zehnjähriger, mit einem zu großen blauen Turban und einem blauen Blazer mit blanken Messingknöpfen. Auf dem Bild nicht zu sehen war sein linkes Knie unter der Flanellhose, das er sich am Morgen an einem Stück Stacheldraht aufgerissen hatte, als er auf dem Weg zum Schulbus eine Abkürzung über ein unbebautes Grundstück genommen hatte und durch einen Zaun geklettert war - hundertmal hatte sie es ihm verboten. Er hatte eine Tetanusspritze bekommen, und sein Vater hatte ihm ein Eis gekauft, ein großes Kwality Vanille, seine Lieblingssorte. Vater und Sohn hatten den gleichen Geschmack, das gleiche dringende Bedürfnis nach blitzblank polierten Lederschuhen und einer neuen Jacke alle zwei Jahre. Am Ende des Flurs stand der Vater vor einem grauen Atelier-Hintergrund in seinem vorletzten Jackett - blau-grüner Tweed, dazu ein weißes Hemd und ein seidig glänzender grüner Schal, sein Bart von einem matten Weiß, das er nun nicht mehr durch Tönen und Färben bekämpfte. Ein weißer Bart wirke ungeheuer distinguiert, hatte sie ihm monatelang zweimal täglich versichert, bis er ihr endlich geglaubt hatte. Sie ging weiter und blieb dann in Sartajs Tür stehen. Ihr Sohn atmete schnell im Schlaf.
    Jetzt redete er, murmelte etwas in das zusammengeknüllte Laken. Sie bückte sich mühsam und hob Hose, Hemd und Unterwäsche auf, die am Fußende des Bettes auf dem Boden lagen. Wieder sprach Sartaj, und sie verstand deutlich das Wort »Boot«. Leise schloß sie die Tür - Sartaj würde ausschlafen wollen, und die Dienstboten kamen früh. Auf dem Weg ins Bad stülpte sie seine Hosentaschen um und fand ein Taschentuch, dann legte sie alles für das Mädchen in den Wascheimer.
    Wieder in ihrem Sessel, hörte sie den Wachmann an der letzten Biegung der Straße mit seinem Lathi klopfen. Er drehte stündlich eine große Runde um die dicht an dicht stehenden Häuser. Und während sie so

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