Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pate von Florenz

Der Pate von Florenz

Titel: Der Pate von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
in allem per ragione, mit Vernunft, handelst, so wie ich es von einem Medici erwarten kann! Unser Reichtum und unsere jetzige Stellung sind kein Garant dafür, dass wir auch in Zukunft die führende Familie von Florenz sind! Die Zeiten sind schwierig! Und wir haben genügend Neider und Feinde, die weder Mittel noch Wege scheuen, um uns das wieder zu nehmen, was wir uns redlich erkämpft haben. Und da ist es ein gefundenes Fressen für sie, wenn sie hämisch darüber herziehen können, dass der eigene Bruder mir nicht den gebotenen Respekt entgegenbringt! Und dieser Respekt drückt sich nun mal auch in solch angeblichen Kleinigkeiten aus wie in diesem Rennen, verdammt noch mal! Reputatione e grandezza! Um das Ansehen und um die Größe des Hauses Medici geht es! Jeden Tag aufs Neue!«
    »Du solltest dich nicht so aufregen, Magnifico«, erwiderte Giuliano mit einer Mischung aus Sarkasmus und bitterer Ohnmacht, wusste er doch, dass der Florentiner Ehrenkodex seinem Bruder recht gab. »Du weißt doch, dass auf die Seelen, die sich vom Zorn besiegen lassen, der fünfte Kreis der Hölle wartet, wie wir seit Dante wissen, der furchtbare graue Sumpf am Styx, wo sich die nackten und von Wut erfüllten Verdammten endlos prügeln und gegenseitig mit den Zähnen zerfleischen.« Damit wandte er sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer.
     
    Marcello fand ihn wenig später oben am Hang bei den Weinbergen. Er setzte sich zu ihm und wartete. Er ahnte, dass es Streit gegeben hatte zwischen den Brüdern, aber er fragte nicht. Wenn Giuliano darüber reden wollte, würde er irgendwann von sich aus anfangen. Und wenn nicht, dann war es auch gut. Manches brauchte man nicht erst lang und breit in Worte zu fassen, um sich verständlich zu machen.
    Mit bedrückter Miene blickte Giuliano über das Anwesen bis hinunter zum kleinen Fluss Sieve, dessen quellklares Wasser still und kalt an Cafaggiolo vorbeifloss.
    Schließlich brach er ihr einträchtiges Schweigen. »Er kann es einfach nicht ertragen, wenn er nicht der Erste ist.« Seine Stimme war voller Bitterkeit.
    »Ich weiß«, sagte Marcello und ergänzte im Stillen, was Giuliano nicht ausgesprochen hatte, was aber in seinen Worten mitschwang und was auch ihm aus eigener Erfahrung leider nicht fremd war: Und du kannst es nicht ertragen, dass du immer nur der Zweite bist … Marcello wusste aber auch, dass Giuliano seinen älteren Bruder von Kindesbeinen an bewunderte und ein Vorbild in ihm sah. Doch jetzt, wo beide erwachsen waren, hatte er noch nie die Möglichkeit bekommen, aus dem Schatten des Bruders zu treten und die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Deshalb war seine Abneigung gegen Lorenzo mitunter genauso stark wie seine Liebe zu ihm.
    »Wir sind wie zwei Krabben«, murmelte Giuliano schwermütig. »Sie verwenden die ganze Zeit ihres Lebens darauf, ihre Höhle behaglich zu machen, und dann werden sie doch nur daraus vertrieben. Im Grunde genommen ist unser Leben vom ersten Atemzug bis zum letzten ein einziges Rennen hin zum Tod.«
    Betroffen sah Marcello Giuliano an. Doch bevor er wusste, was er darauf erwidern sollte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem Reiter abgelenkt, der sich im Galopp dem Landgut näherte. Es konnte niemand aus Lorenzos Brigata oder von der Dienerschaft sein, der verspätet eintraf, denn der Reiter kam aus der entgegengesetzten Richtung.
    Es war sein Vater, der Consigliere Sandro Fontana, der sich höchstpersönlich auf den Weg gemacht hatte, um den Medici die Nachricht von der Ermordung des Herzogs Galeazzo Maria Sforza zu überbringen.
----
    1 Mit Terzine bezeichnet man eine von Dante Alighieri (1265-1321) erfundene italienische Gedichtform. Dabei besteht jede Terzine aus drei Verszeilen, die nach dem Schema eines Kettenreims aufgebaut sind. Dante Alighieri hat in dieser Versform seine weltberühmte Göttliche Komödie verfasst.
    2 Zitiert aus dem Werk Gastmahl von Lorenzo de’ Medici

2
    U nter einem bedeckten Himmel, aus dem leichter Nieselregen fiel, eilte Sandro Fontana durch die Gassen von Florenz. Er fühlte sich an diesem Vormittag zerschlagen und spürte wie selten zuvor sein Alter von bald siebenundsechzig Jahren, auch wenn er mit Fug und Recht behaupten konnte, noch immer von robuster Gesundheit zu sein und die meisten Gleichaltrigen an Behändigkeit und Ausdauer zu übertreffen. Darauf war er so stolz wie auf sein noch volles Haar. Zwar hatte es in den letzten Jahren einen eisengrauen Farbton angenommen, es passte damit

Weitere Kostenlose Bücher