Der Pate von Florenz
zwischen den Bäumen schon die rotbraunen Ziegeldächer und die kleinen aufgesetzten Wehrtürme des lehmgelben Haupthauses von Cafaggiolo ab, das schon Lorenzos Großvater Cosimo zu einem festungsartigen Wohnhaus mit einer großen Gartenanlage hatte umbauen lassen und zu dem ein weitläufiger landwirtschaftlicher Betrieb mit Fischteichen, einem Wildgehege, fruchtbaren Feldern, Ackern und Weinbergen gehörte.
Vor der Brücke, die kein Geländer hatte, machte die Landstraße eine scharfe Linkskurve um niedriges Buschwerk herum. Und hier wagte Giuliano ein überaus gefährliches Manöver, um das Rennen so kurz vor dem Ziel noch zu seinen Gunsten zu entscheiden.
Nicht nur Marcello traute seinen Augen nicht, als er beobachtete, wie Giuliano seinen Wallach von der Straße lenkte und ihn geradezu tollkühn mitten durch die Büsche trieb. Er setzte alles auf eine Karte.
Und er hatte Glück. Reiter und Pferd preschten durch das dichte brusthohe Gestrüpp. Dicke Erdklumpen flogen durch die Luft, als der Wallach wieder auf den festen Boden der Landstraße gelangte. Seite an Seite mit Lorenzos Fuchsstute donnerte Tribaldo über die Brücke.
Das tollkühne Manöver seines Bruders musste Lorenzo erschreckt oder verärgert haben. Marcello hörte, wie er Giuliano irgendetwas zuschrie, während sie auf die Allee zuritten, die hinauf zum Gut führte.
Beide gaben ihren Pferden die Sporen und feuerten sie durch lautes Schreien an. Doch Giulianos Wallach hatte am Ende mehr Kraft. Auf dem letzten Drittel der Allee zog er unaufhaltsam an seinem Bruder vorbei. Mit einer knappen Pferdelänge Vorsprung ging er durchs Ziel und riss jubelnd den linken Arm hoch.
Lorenzo wartete das Eintreffen seiner Brigata nicht ab. Er ließ seine Fuchsstute um Giulianos Tribaldo herumtänzeln und preschte dann durch das hohe Tor in den Innenhof, wo er vor den Stallungen aus dem Sattel sprang. Sein Gesicht war gerötet, aber das hatte weniger mit dem anstrengenden Rennen zu tun als mit seiner mühsam beherrschten Wut.
Wortlos und mit zusammengepressten Lippen überließ er sein Pferd Francesco Fracassini, dem langjährigen Verwalter auf Cafaggiolo, und stürzte ins Haus.
Marcello traf im Innenhof ein, als Giuliano seinem Bruder folgen wollte.
»Sieht nicht so aus, als hätte ihm das sonderlich geschmeckt«, murmelte er mit einem halb triumphierenden, halb schiefen Grinsen, während Marcello auf seinem Apfelschimmel langsam an ihm vorbeitrottete. »Ich werde wohl um gut Wetter bitten müssen, dass ich ihm nicht den Sieg gelassen habe.«
Marcello zuckte mit den Achseln. Was hätte er auch sagen sollen.
Giuliano fand seinen Bruder in dessen studiolo , dem Arbeitszimmer, eine Karaffe Wasser und einen Becher in der Hand, den er soeben in einem Zug geleert hatte.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, fuhr Lorenzo ihn erzürnt an, kaum dass Giuliano die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Der warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu. »Ja, ich weiß, es war schon ein bisschen riskant, mitten durch das Gebüsch zu preschen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
»Zum Teufel, du hättest dir das Genick brechen können! Du, ein Medici!«, blaffte Lorenzo ihn an. »Aber das meine ich nicht.«
»Was meinst du dann?«
Lorenzo funkelte ihn an. »Du hast offenbar vergessen, was du unserem Hause schuldig bist!«
»Du meinst, was ich dir schuldig bin«, erwiderte Giuliano bissig.
»Ja, weil ich nun mal nicht nur dein älterer Bruder, sondern auch und vor allem das Oberhaupt des Hauses Medici bin! Und das blamiert man nicht! Auch nicht der eigene Bruder!«, donnerte Lorenzo. »Hast du vergessen, wie wichtig figura und stato in unserem ständigen Kampf um den Erhalt der Macht sind? Als capo muss ich zu jeder Zeit unangreifbar erscheinen und ich muss jeden Tag von Neuem unter Beweis stellen, dass ich alles im Griff habe! Da dürfen die Ehre und der Status nicht einmal angekratzt werden, weil das sogleich als Schwäche ausgelegt wird. Die Feinde unseres Hauses lauern doch nur darauf!«
»Jetzt übertreibst du aber!«, protestierte Giuliano. »Das war kein Rennen in der Stadt vor vielen Tausend Augen, sondern ein Vergnügen hier auf dem Land und unter treuen Freunden. Da werde ich ja doch wohl gegen dich gewinnen dürfen, wenn …«
»Zum Teufel, nein! Nicht einmal hier!«, schnitt Lorenzo ihm wutschnaubend das Wort ab. »Und das solltest du wissen. Ich erwarte von dir als meinem Bruder, dass du prudenza walten lässt, politische Umsicht, und
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