Der Pate von Florenz
stark nach Weihrauch roch, entdeckte er seinen Bruder auch nicht vorne auf der Kniebank am Altar, sondern gleich rechts von der Tür auf einem der hintersten Plätze. Dort saß er mit vor der Brust verschränkten Armen und mürrischer Miene, den Blick auf die farbenprächtigen Fresken gerichtet, mit denen der berühmte Benozzo Gozzoli die Wände ausgeschmückt hatte.
Ihr Großvater Cosimo hatte Gozzoli damit beauftragt, den Zug der Heiligen Drei Könige und somit den Familienkult der Medici zum zentralen Thema seiner Fresken zu machen. Die Verehrung der drei heiligen Könige aus dem Morgenland ging bei ihnen so tief, dass sein Vater Piero mit der Taufe seines Sohnes sogar fünf Tage gewartet hatte, damit dieses Fest auf den 6. Januar fiel, den feierlichen Gedenktag der Heiligen Drei Könige.
Die Darstellung der prunkvollen Prozession erstreckte sich über zwei Wände. Sie zeigte nicht nur die drei Könige mit ihrem großen Gefolge, wie sie sich mit Pferden und Kamelen auf einem felsigen Weg durch eine leicht bergige, aber anmutige, der Toskana sehr ähnliche Landschaft bewegten, Gozzoli hatte vielen Personen, die den drei unterschiedlich alten Königen folgten, die Gesichtszüge bekannter Florentiner Bürger und einiger Fürsten gegeben, die durch ihre freundschaftlichen Beziehungen zum Haus Medici adligen Glanz auf die Familie geworfen hatten.
So konnte es denn auch nicht verwundern, dass Cosimo selbst und seine Söhne gleich in der ersten Reihe hinter den Königen ritten und besonders ausdrucksvoll porträtiert waren. Und wer beim Betrachten noch Zweifel hegte, fand diese sogleich ausgeräumt, wenn sein Blick auf das Zaumzeug von Pieros weißem Pferd fiel. Denn dort fanden sich deutlich erkennbar das Wappen der Medici und das Familienemblem, der Schild mit den sechs roten Kugeln auf goldenem Grund, aufgemalt, dazu die drei Federn und das Motto Semper.
Auch Lorenzo selbst und sein Bruder konnten sich als Enkelkinder des großen Cosimo, dem die Signoria nach seinem Tod den Ehrentitel Vater des Vaterlandes verliehen hatte, auf dem Wandfresko wiederfinden. Und so wie Gozzoli die ansprechenden Gesichtszüge von Giuliano mit dem Pinsel naturgetreu festgehalten hatte, so hatte er bei Lorenzos jugendlichem Porträt auch die platte Nase in ihrer ganzen Hässlichkeit ausgeführt. Nun, auch das war ein Weg in die Unsterblichkeit.
Giuliano wandte kurz den Kopf, als Lorenzo eintrat.
Der setzte sich neben seinen Bruder. Für lange Augenblicke fiel kein Wort.
Schließlich brach Giuliano das Schweigen. »Hast du dich jemals gewundert, warum wir Medici die Heiligen Drei Könige mehr verehren als alle anderen Heiligen?«, fragte er, wartete eine Antwort jedoch nicht ab, sondern fuhr bissig fort: »Ich eigentlich nie. Denn so viele Stellen gibt es in der Bibel ja nicht, wo ein Reicher nicht gleich zum Sünder wird. Im Grunde gibt es nur diese eine mit den drei Königen aus dem Morgenland. Wirklich passend für reiche Bankherren, die ihr Vermögen mit lukrativen Geldgeschäften gemacht haben und die sich so manches haben einfallen lassen, damit ihnen nicht der Fluch des gottlosen Wucherns anhaftet! Aber dank der geistig flinken Franziskaner, die aus verbotenen Zinsen gottlob erlaubte Risikoaufschläge gemacht haben, und dank zahlloser wohltätiger Werke wird unseren Vorfahren und wohl auch uns die Hölle erspart bleiben. Es ist doch beruhigend zu wissen, dass wir alle nicht im siebten Höllenkreis landen werden, wo, wie Dante uns deutlich vor Augen führt, die Gotteslästerer, Wucherer und Sodomiten ihre Sünden büßen müssen, mit einer prallen Geldbörse um den Hals von Flammen umzüngelt und auf das Schrecklichste gequält von grässlichen Dämonen.«
Lorenzo schluckte seinen aufsteigenden Ärger über die sarkastischen Bemerkungen seines Bruders hinunter. »Ich habe dazu meine eigenen Gedanken.«
»Und die wären?«
»Ich glaube nicht, dass sie dich überraschen würden. Und ich möchte mich jetzt auch nicht darüber auslassen, weil mir etwas ganz anderes auf der Seele liegt, das ich mit dir bereden möchte.«
Giuliano sah ihn von der Seite an und verzog den Mund zu einer spöttischen Miene. »Nun dann, immer frisch von der Leber weg, lieber Bruder!«
»Ich weiß, dass du mir die Sache von gestern noch immer nachträgst, Giuliano. Es tut mir leid, dass wir so hässlich aneinandergeraten sind«, sagte Lorenzo bedauernd. »Vielleicht habe ich in meinem Ärger nicht die richtigen Worte gefunden.«
»Du findest doch
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