Der Pate von Florenz
entfloh und aufgegriffen wurde, dem drohte eine schwere Strafe, bis hin zum Abhacken der rechten Hand, wenn sich der entflohene Sklave in den Augen der Obrigkeit des Diebstahls schuldig gemacht hatte.
Fiora bedauerte das Schicksal dieser armen Menschen. Seit sie ein Kind war, wusste sie, dass es viele Sklaven in der Stadt gab. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass das mit der Pest zusammenhing, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts 1 zum ersten Mal in Italien ausgebrochen war und in manchen Städten und Landstrichen fast die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft hatte. Dadurch fehlte es an Bediensteten und diese Lücke füllte man mit Sklaven. Fiora verstand nicht, warum die Kirche damals die Haltung von Sklaven heidnischer Herkunft ausdrücklich erlaubt hatte, selbst wenn diese sich später taufen ließen, und dass sich nicht nur die Reichen, sondern sogar Priester und Klöster versklavte Bedienstete hielten.
Nun, das waren Angelegenheiten für die gelehrten Köpfe der heiligen Mutter Kirche und der Priorenschaft. Über deren Entscheidungen hatte jemand wie sie nicht zu urteilen.
Bald hatte sie die Via della Vigna Vecchia erreicht, wo der kleine Palazzo der Sabetelli ein Eckgrundstück mit Blick auf die gegenüberliegende Kirche San Simone einnahm.
Ein Diener, dessen hässliche Brandnarbe auf dem rechten Handrücken sie sofort an den Herold auf dem Kornmarkt erinnerte, ließ sie herein. Auch die Sabetelli besaßen mehrere Sklaven, über deren angebliche Faulheit und Unzuverlässigkeit sie ihre Schwester und ihren Schwager mehr als einmal hatte klagen hören. Sie nannten sie geringschätzig domestici hostes, Feinde im eigenen Haus.
»Warum bist du ohne Vater gekommen?«, fragte Costanza sie verärgert. Sie war wie stets in edelstes Seidentuch gewandet. »Ich habe doch ausdrücklich euch beide eingeladen!«
»Es tut mir leid, Schwester, aber Vater fühlt sich nicht gut«, sagte Fiora, und das war nicht einmal gelogen. »Es zieht ihm böse in den Knochen, was wohl am nasskalten Wetter liegt. Aber ich soll dir und Filippo Dank sagen und euch Grüße bestellen.«
Costanza verzog den Mund, zuckte dann aber mit den Schultern. »Vielleicht ist es gar nicht mal so schlecht. So können wir frei von der Leber weg reden, Schwester, bevor das Essen aufgetragen wird«, sagte sie. Auf einmal war sie richtig aufgekratzt. Sie legte ihrer Schwester den Arm um die Schulter und führte sie in ihr Gemach. »Vater scheint mir in letzter Zeit richtig alt geworden zu sein. Hast du nicht auch den Eindruck?«
Fiora fragte sich, wann und wodurch ihre Schwester diesen Eindruck gewonnen haben wollte, hatte sie den Vater doch vor fünf, wenn nicht gar sechs Monaten zum letzten Mal gesehen. »Findest du? Auf mich wirkt er immer noch sehr rüstig. Und dass er mehr Ruhe braucht, kann ja nicht verwundern, denn er ist natürlich nicht mehr der Jüngste. Aber für sein Alter …«
»Richtig!«, unterbrach Costanza sie. »In seinem Alter muss er sich allmählich Gedanken über den Lebensabend machen. Er hat gut daran getan, dass er schon seit Jahren keinen neuen Lehrling mehr ins Haus genommen hat. Das wird es ihm leichter machen, jemanden zu finden, der die Goldschmiede und das Haus übernehmen möchte.«
Fiora machte ein verblüfftes Gesicht. »Ich wüsste nicht, dass er sich darüber ernsthaft Gedanken macht.«
»Das sollte er aber! Er darf nicht mehr zu lange warten, Fiora! Machen wir uns doch nichts vor! Seit Mutter tot ist, geht es bergab mit seinem Gewerbe. Glaub nicht, ich wüsste das nicht. Ich habe mich umgehört. Vater genießt zwar immer noch einen recht guten Ruf, aber viel wird bei ihm nicht mehr in Arbeit gegeben.«
»Ja, aber …«, setzte Fiora zu einem Einwand an.
Costanza redete jedoch weiter. »Er hat es wirklich verdient, sich allmählich aufs Altenteil zu setzen und die Früchte eines langen Arbeitsleben in Ruhe zu genießen.«
»Und wie soll dieses Altenteil aussehen, wenn er nichts mehr verdient?«, hielt Fiora ihr verwundert vor.
Costanza lächelte sie an. »Wir sind doch auch noch da und ich weiß, was ich Vater schuldig bin, schließlich hat er mich so reich ausgestattet. Wir haben Platz genug und können ihm ein hübsches Zimmer einrichten. Bei uns wird es ihm gut gehen.«
»Ich weiß nicht, ob ihm das gefällt«, erwiderte Fiora vorsichtig, wollte sie doch nicht gleich damit herausplatzen, dass ihr Vater eines ganz bestimmt nicht wollte, nämlich sein Gnadenbrot unter dem Dach seines Schwiegersohnes zu essen.
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