Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pate von Florenz

Der Pate von Florenz

Titel: Der Pate von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
einem zum ersten Mal begegnet und als hätte er in einem eine Saite berührt, von der man bis dahin nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte. Wann war Fiora bloß zu einer so hübschen, anziehenden jungen Frau geworden? An diesem Abend hatte er das Gefühl, als wäre das über Nacht geschehen.
    Lautes Gelächter und Stimmengewirr drangen zu ihm in die Nacht heraus, als er um die Straßenecke bog und die Schenke vor ihm lag. Er trat ein und fand das faustdicke Holzbrett der Theke zu seiner Linken, hinter der eine Reihe von Weinfässern aufgebockt stand und der dicke Wirt Poggio mit seiner Schankgehilfin Aurante alle Hände voll zu tun hatten, schon von einer Menschentraube aus derb gekleideten Arbeitern umlagert. In ihrer Gesellschaft entdeckte er auch einige Frauen, die ihre körperlichen Vorzüge sehr freizügig zur Schau trugen. De candela wurden sie genannt, von der Kerze, weil sie ihre Kammern, in denen sie ihre Liebesdienste gegen ein paar Silbermünzen erbrachten, oft im Haus von Kerzenhändlern hatten.
    Auch die meisten Bänke vor den Tischen, die in zwei Reihen den lang gestreckten Raum unter der verrußten niedrigen Balkendecke ausfüllten, waren gut besetzt. Überall knallten Würfelbecher auf die rauen Platten und klickten Steine auf den Brettspielen. In dem großen Kamin aus schweren Feldsteinen, der in die Wand zur Rechten eingelassen war, prasselte ein kräftiges Feuer.
    Nur an dem einzelnen Tisch ganz hinten am Ausgang zum Hof, vom Rest der Schenke durch das schwere, grob behauene Balkenwerk und das dort gut kopfhoch rechts und links zwischen den kantigen Trägern aufgestapelte Feuerholz abgetrennt, saß ein einzelner Zecher. Er trug die einfache schwarze Kutte eines Konversen 1 und hatte die Kapuze bis tief über das Gesicht gezogen. Vor ihm standen ein Holzteller mit abgenagten Geflügelknochen, ein großer bauchiger Steinkrug und ein Becher.
    Marcello lachte auf, zwängte sich durch die Menge nach hinten und schwang die Beine über die niedrige Bank, sodass er mit dem Rücken zur Theke und mit dem Gesicht zu seinem Gegenüber saß.
    »Ich hoffe, Ihr habt über dem Wein und diesem armen toten Vogel nicht die Komplet verpasst, Klosterbruder!«, sagte er spöttisch und schob den Teller zur Seite. »Ihr wisst, das heilige Offizium muss stets vor dem Suff kommen!«
    Der Kopf hob sich und unter der Kapuze blickte ihm das freudlose Gesicht von Giuliano de’ Medici entgegen. Er versuchte, so etwas wie ein Lächeln zustande zu bringen, schaffte es aber nicht.
    »Hier, trink was, Marcello«, murmelte er stattdessen und schob Marcello seinen Becher zu. »Ist noch einiges drin im Krug und der fette Poggio hat noch genügend davon in seinen Fässern, sodass ich darin allen Undank der Welt ersäufen kann, was ich auch zu tun beabsichtige! Soll mich doch der Leibhaftige holen, wenn ich es nicht tue!«
    Marcello hörte an der schweren Zunge, dass Giuliano dem Wein schon ordentlich zugesprochen hatte. Ihn hier in dieser Schenke und dazu noch in der Kutte eines Konversen anzutreffen überraschte ihn nicht. Sein Bruder und er machten sich manchmal einen Spaß daraus, sich als einfache Leute, Mönche oder Schausteller zu verkleiden, um sich unerkannt unter das Volk zu mischen und sich derben Vergnügungen hinzugeben, was sie als Medici niemals tun konnten. Seit Lorenzo verheiratet war, hatte er von den Maskeraden und nächtlichen Ausflügen in das sündige Florenz jedoch Abstand genommen. Er bediente sich nun anderer, viel raffinierterer und kostspieligerer Mittel und Wege, um sich zu amüsieren.
    Giuliano dagegen hielt an der ihm lieb gewordenen Gewohnheit fest und machte sich ab und zu von den gesellschaftlichen Zwängen seines Namens frei und verkehrte in Kreisen, wo man einen Medici nie vermutet hätte. Er besaß mehrere Truhen voller Verkleidungen. Und da er nicht wie sein Bruder mit markanten Gesichtszügen gestraft war, die zu verbergen viel Aufwand erforderte, bedurfte es bei ihm nur wenig, um aus seiner vornehmen Welt unerkannt in die des einfachen Volkes zu schlüpfen.
    Das Michel del Bello war so ein Ort, an dem ein einfacher Mönch nicht auffiel. Der geistliche Stand galt schon lange nicht mehr als moralisches Vorbild und in Florenz wie auch anderswo gab es genügend Klosterbrüder, die ungeniert den greifbaren weltlichen Freuden den Vorzug gaben vor der Hoffnung auf den ungewissen himmlischen Lohn für frommen klösterlichen Eifer. Der Einzige, der wusste, für wen der Tisch ganz hinten stets freigehalten

Weitere Kostenlose Bücher