Der Pathologe
nicht an mich adressiert.« Er zeigte es ihr. »Also muss es jemand persönlich vorbeigebracht haben. Können Sie sich vorstellen, wie es in meinen Stapel hineingeraten ist?«
»Hm. Nein, tut mir Leid.«
»Wenn die Post hier ankommt, wo wird sie dann zwischengelagert?«
»Direkt hier.« Sie zeigte auf einen Behälter, der unmittelbar links neben ihr stand. »Ich sehe sie durch, teile sie nach Empfängern auf, binde jeden Stapel mit einem Gummiband zusammen und versehe ihn mit einer Haftnotiz mit dem entsprechenden Namen. Dann bringt es jemand – ich oder eine andere Sekretärin oder ein Freiwilliger – in allen Büros vorbei. Zu Ihrem kommen wir zuletzt, weil Sie auf einer anderen Etage sind.«
»Wenn der Stoß erst mal verteilt ist, könnte also jeder einen zusätzlichen Umschlag in irgendeinen Stapel schieben.«
»Ich denke schon – ist irgendwas nicht in Ordnung, Dr. Carrier?«
»Nein, reine Neugier.«
»Oh«, sagte sie und sah erschrocken aus. »Einen schönen Tag noch.«
Er platzte beim HNO-Empfangssekretär rein, einem sehr gut angezogenen und gepflegten jungen Mann, dessen Finger über eine Computertastatur flogen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er, ohne aufzusehen. Dieselbe Stimme, mit der Jeremy gesprochen hatte, als er sich nach dem ersten Umschlag erkundigt hatte.
»Ich habe eine Frage hierzu«, sagte Jeremy.
Der junge Mann hörte auf zu tippen, und Jeremy gab ihm den Umschlag.
»Haben Sie mich nicht bereits deswegen angerufen?«
»Das war der erste, dies ist der zweite. Deshalb glaube ich nicht, dass es sich um einen Zufall handelt. Ich bin offensichtlich mit jemand anderem verwechselt worden.«
Der junge Mann untersuchte den fotokopierten Artikel. »Hmmm … nun ja, ich habe ihn nicht geschickt. Diese Umschläge werden mehrfach wiederverwendet.«
»Ich schätze, irgendjemand hortet HNO-Briefumschläge.«
Der junge Mann grinste. »Das liegt daran, dass wir so charmant sind.« Er versuchte, Jeremy den Artikel zurückzugeben.
»Er gehört Ihnen«, sagte Jeremy.
Der junge Mann fuhr sich durch die Haare. »Das ist das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass mir irgendwer etwas gegeben hat, aber danke, nein.«
Er legte den Artikel auf die Empfangstheke. Jeremy nahm ihn.
Jetzt geriet er ins Grübeln.
Sezieren der breiten Ligamente.
Jeremy kehrte in sein Büro zurück und rief Detective Bob Doresh an. Diesmal stellte er sich vor. Er hörte, wie Doresh seufzte.
»Ja, Doc?«
»Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, nannten Sie Tyrene Mazursky eine Humpty-Dumpty-Situation und deuteten an, Jocelyn hätte genauso …«
»Ich habe nichts angedeutet, Doc, ich habe …«
»Schön, Detective, wir wollen nicht kleinlich sein. Ich habe eine Frage an Sie. Haben die Morde irgendwelche Zeichen chirurgischen Könnens aufgewiesen? Gab es eine Art Sektion?«
Doresh antwortete nicht.
»Detective …«
»Ich habe Sie verstanden, Doc. Wie kommen Sie auf diese Frage?«
»Ein Ei«, sagte Jeremy. »Es zerbricht in saubere Stücke. Glatte Kanten, die Zerstörung ist von einer gewissen Präzision. Ist es das, was Sie mit dem Ausdruck ›Humpty-Dumpty‹ sagen wollten, oder war das eher grundsätzlich gemeint?«
»Doc, ich glaube nicht, dass ich näher darauf eingehen will, was ich gemeint habe.« Doreshs Stimme war leise und drohend geworden.
Nervös, Jeremy hatte ihn eindeutig nervös gemacht. Soweit es ihn betraf, reichte das als Antwort. »Also gut. Entschuldigen Sie die Störung.«
»Sie stören mich nicht«, sagte Doresh. »Wir hören immer gern von besorgten Bürgern. Und als solcher betrachten Sie sich doch, nicht wahr?«
»Nein, Detective. Ich bin mehr als das. Ich habe Jocelyn geliebt.«
»Das sagten Sie schon bei unserer ersten Begegnung.«
»Tatsächlich?« Jeremys Erinnerung an ihr erstes Treffen auf dem Revier war sehr verschwommen. Kleiner Raum, große Männer, grelle Lampen, alles bewegte sich im Methedrin-Takt.
»Klar«, erwiderte Doresh. »Es war sogar das Erste, was Sie gesagt haben. ›Ich liebe sie.‹«
»Okay«, sagte Jeremy.
»Ich hielt das für interessant. Dass Sie das als Erstes gesagt haben.«
»Und warum?«
»Es ist einfach etwas, was ich noch nie zuvor gehört hatte. In dieser Situation.«
»Da sehen Sie mal«, entgegnete Jeremy. »Jeden Tag eine neue Erfahrung.«
»Wie bei jemandem, der Alzheimer hat«, sagte Doresh. »Das ist der gute Teil der Krankheit – man lernt jeden Tag neue Leute kennen.«
Mehrere Augenblicke verstrichen.
»Sie
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