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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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hinüber, der sich erneut dem Computermonitor vor seiner Nase widmete, und in der Sekunde fiel es Ricky wie Schuppen von den Augen. Fast kam es ihm so vor, als sprächen die leicht vorgebeugte, gekrümmte Haltung, der nervöse Tick, mit dem Bleistift auf der Platte zu trommeln, eine klare Sprache, die Ricky vom ersten Moment an hätte verstehen müssen, zumindest aber die Art, wie sich der Mann die angebotenen Scheine gekrallt hatte. Doch auf diesem Gebiet war Ricky Neuling, und das erklärte wohl,wieso der Groschen so spät fiel. Er erhob sich bedächtig von seinem Tisch und ging zu dem Mann hinüber.
    »Wo ist sie?«, fragte Ricky in leisem, forderndem Ton. Noch während er sprach, packte er den Mann am Schlüsselbein.
    »Hey, mal sachte! Was ist?« Der Mann war überrumpelt. Er versuchte, sich herauszuwinden, doch Rickys Finger bohrten sich ihm ins Fleisch und ließen ihm wenig Bewegungsspielraum. »Au! Was soll das zum Teufel?«
    »Wo ist sie?«, wiederholte Ricky, diesmal in schärferem Ton.
    »Was soll das? Verdammt! Lassen Sie mich los!«
    »Erst, wenn Sie mir gesagt haben, wo sie ist«, entgegnete Ricky. Inzwischen hatte er die linke Hand an der Kehle des Mannes und drückte langsam zu. »Haben sie Ihnen nicht gesagt, dass ich in einer verzweifelten Lage bin? Dass ich unter einem gewaltigen Zeitdruck stehe? Haben die Sie nicht gewarnt, dass ich unberechenbar sein könnte? Dass mir alles zuzutrauen ist?«
    »Nein! Bitte! Aua! Nein, verdammt, das haben sie nicht gesagt! Lassen Sie los!«
    »Wo ist sie?«
    »Sie haben sie mitgenommen!«
    »Ich glaube Ihnen nicht.«
    »Doch!«
    »Na schön. Wer hat sie mitgenommen?«
    »Ein Mann und eine Frau. Sind vor ungefähr zwei Wochen reingekommen.«
    »Der Mann war gut gekleidet, untersetzt, sagte, er sei Rechtsanwalt? Die Frau ein richtiger Hingucker?«
    »Ja! Die. Was zum Teufel soll das Ganze?«
    Ricky ließ den Archivar los, der unwillkürlich ein Stück nach hinten trat. »Jesses, Maria und Josef«, sagte der Mann und rieb sich das Schlüsselbein. »Was soll der ganze Mist?«
    »Wieviel haben die Ihnen bezahlt?«
    »Mehr als Sie, ’ne ganze Menge mehr. Hab nicht geahnt, dass es so verdammt wichtig ist, wissen Sie? Ging ja nur um eine Akte von vor ewigen Zeiten, für die sich zwanzig Jahre lang kein Schwein interessiert hat. Ich meine, was soll das jetzt auf einmal?«
    »Was haben die Ihnen denn gesagt, wozu sie sie brauchen?«
    »Der Typ sagt, für einen Rechtsstreit, ging um ’ne Erbschaft oder so. Konnte ich nicht so ganz nachvollziehen. Die Leute, die hier in die Klinik kommen, haben normalerweise nicht viel zu vererben. Aber der Mann hat mir seine Karte gegeben und gesagt, er gibt mir die Akte zurück, wenn sie damit durch sind. Hatte kein Problem damit.«
    »Besonders, nachdem er Sie entsprechend entlohnt hatte.«
    Der Mann schien zunächst zu zögern, zuckte dann aber die Achseln. »Fünfzehnhundert, in neuen Scheinen. Hat sie einfach so hingeblättert, wie so’n Gangster in den guten alten Zeiten. Wissen Sie, dafür muss ich wochenlang arbeiten.«
    Die Übereinstimmung des Betrags mit einer anderen Zahl entging Ricky nicht. Einen Hunderter für jeden der fünfzehn Tage. Er warf einen Blick auf den Aktenstapel und stöhnte über die vielen Stunden, die er damit vergeudet hatte. Dann sah er den Angestellten wieder an und kniff die Augen zusammen. »Die Akte, die ich suche, ist also weg?«
    »Tut mir leid, Doc, wusste ja nicht, dass es so ’ne große Sache ist. Wollen Sie die Visitenkarte von dem Typ?«
    »Ich hab schon eine.« Er starrte den Mann weiter an, der unbehaglich auf seinem Stuhl herumrutschte. »Die haben demnach die Akten an sich genommen und Sie ausgezahlt, aber so dumm sind Sie nicht, hab ich Recht?«
    Der Angestellte zuckte unter der Frage kaum merklich zusammen. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, dass Sie nicht so dumm sind. Und Sie arbeiten nicht all die Jahre im Archiv, ohne zu lernen, wie man sich den Rücken freihält, nicht wahr? Es fehlt also eine Akte in dem ganzen Stapel, aber nicht, ohne dass Sie vorher etwas sichergestellt haben, oder?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie haben diese Akte nicht rausgerückt, ohne sich vorher eine Kopie zu machen, habe ich recht? Egal, wieviel der Typ Ihnen dafür gezahlt hat, Sie haben sich überlegt, dass ja vielleicht, wenn auch nur vielleicht, noch jemand anders kommen und danach suchen könnte, der womöglich noch mehr Kies hat als der Anwalt und die Frau. Vielleicht haben die Ihnen sogar gesagt,

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