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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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denken. Schnuppern Sie mal, Doc. Riechen Sie das auch? Ich meine nicht nur die Scheiße und so. Ich glaube, ich rieche Gas.«
    Ricky zögerte und nickte dann. »Und das Schlafzimmer?«, fragte er.
    »Nicht viel anders als hier. Auch die Klamotten. Und das Bett ist unter einem gewaltigen Brocken aus der Decke zusammengebrochen.«
    »Ich muss es trotzdem sehen«, sagte Ricky.
    »Nee, müssen Sie nich«, antwortete der Mann. »Sie machen sich keine Vorstellung, was für ’ne Sauerei das da is, also lassen Sie’s einfach und machen Sie, dass Sie hier rauskommen. Das berappt so ziemlich alles die Versicherung.«
    »Aber meine Sachen …«
    »Sachen sind einfach nur Sachen, Doc. Paar Schuhe, paar Klamotten – lassen sich ziemlich fix ersetzen. Lohnt sich nich, für so was krank zu werden oder dass einem die Decke auf den Schädel kracht. Wir müssen hier raus, sollen die Fachleute sich damit rumschlagen. Was da von der Decke noch übrig ist, dem trau ich nich. Und für den Boden leg ich auch nich die Hand ins Feuer. Die müssen das Ganze hier entkernen, von oben bis unten.«
    Genau so fühlte sich Ricky in dem Moment – von oben bis unten entkernt. Er drehte sich um und folgte dem Mann nach draußen. Wie um die Warnung des Hausmeisters zu bekräftigen, fiel hinter ihnen ein kleines Stück Decke ein.
    Als er wieder auf den Bürgersteig trat, kamen der Mann von der Hausverwaltung und der Börsenmakler zusammen mit dem Bauamtsvertreter auf ihn zu.
    »Schlimm?«, fragte der Makler. »Schon mal Schlimmeres gesehen?«
    Ricky schüttelte den Kopf.
    »Die Typen von der Versicherung sind schon auf dem Weg hierher«, fuhr der Makler fort. Er reichte Ricky seine Visitenkarte. »Hören Sie, rufen Sie mich in ein paar Tagen im Büro an. Und wissen Sie, wo Sie erst mal unterkommen?«
    Ricky nickte, während er die Karte in die Tasche steckte. Ein einziger Ort in seinem Leben war noch intakt, doch er machte sich wenig Hoffnung, dass es so blieb.

19
     
    Was von der Nacht noch übrig war, hüllte ihn wie ein schlecht sitzender Anzug ein, eng und unbequem. Er drückte die Wange ans Fensterglas und fühlte, wie die Kälte der frühen Morgenstunden durch die Scheibe drang und ihm ungehindert in die Glieder kriechen konnte, wie die Dunkelheit von draußen in das schwarze Loch sickerte, das in seinem Innern klaffte. In der Hoffnung, dass die Sonne helfen würde, seine düsteren Aussichten ein wenig aufzuhellen, sehnte sich Ricky nach dem Morgen, auch wenn er wusste, wie illusorisch das war. Er atmete langsam ein, schmeckte die schale Luft auf der Zunge und versuchte, die Verzweiflung, die ihn niederdrückte, abzuschütteln. Doch dazu war er nicht in der Lage.
    Seit sechs Stunden saß Ricky im Nachtbus von Port Authority nach Provincetown. Er lauschte auf das stetige Dieselbrummen des Busmotors, ein fortwährendes Auf und Ab, wann immer der Fahrer die Gänge wechselte. Nach einer Pause in Providence war der Bus endlich auf der Route Six auf dem Cape angekommen und tuckerte langsam, aber sicher den Highway entlang. Unterwegs ließ er in Bourne, in Falmouth, Hyannis, Eastham und schließlich seiner Haltestelle in Wellfleet Fahrgäste aussteigen, bevor er sein letztes Ziel, P-Town, an der Spitze des Cape anfuhr.
    Inzwischen war er nur noch zu etwa einem Drittel besetzt. Die anderen Passagiere waren junge Männer oder Frauen imAlter von achtzehn, neunzehn bis Mitte zwanzig, Studenten und Collegeabgänger an der Schwelle ins Berufsleben, die sich für ein Wochenende auf Cape Cod davonstahlen. In den ersten Stunden der Fahrt hatten die jungen Leute herumgelärmt, hatten gelacht und geplappert und waren sich so zwanglos nahe gekommen, wie es Jugendlichen selbstverständlich ist, und dabei Ricky, der ganz hinten saß und den nicht nur das Alter, sondern Welten von ihnen trennten, schlichtweg ignoriert. Doch das stetige dumpfe Pochen des Motors hatte alle Mitreisenden außer ihm im Lauf der Stunden eingelullt, so dass sie nunmehr in allen möglichen Schlafstellungen hingestreckt waren, während Ricky die zurückgelegten Meilen zählte und seine Gedanken ebenso schnell an ihm vorüberjagten wie der Mittelstreifen zwischen den Rädern.
    Keinen Moment glaubte er daran, dass seine Wohnung einem zufälligen Rohrbruch zum Opfer gefallen war, und er konnte nur hoffen, dass nicht dasselbe mit seinem Sommerhaus geschehen war.
    Es stellte, wurde ihm klar, so ziemlich das Einzige dar, was ihm geblieben war.
    Er versuchte abzuschätzen, was vor ihm lag, eine

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