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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Kinder heute?
    Es gibt viele Formen von Freiheit, dachte Ricky. Eine davon hatte es Rumpelstilzchen ermöglicht, ihn zu töten. Jetzt würde er seine eigene Freiheit finden.

25
     
    Folgendes wusste Ricky bereits: Vor zwanzig Jahren starb in New York eine Frau; das staatliche Jugendamt übernahm die Vormundschaft für ihre drei Kinder und gab sie zur Adoption frei. Allein aus diesem Grunde war er zum Selbstmord gezwungen gewesen.
    Rickys erste Versuche am Computer, unter Claire Tysons Namen etwas zu finden, hatten seltsamerweise keinerlei Ergebnisse gezeitigt. Es war, als hätte ihr Tod sie nicht nur von dieser Erde getilgt, sondern auch aus sämtlichen Akten, die ihm elektronisch zugänglich waren. Selbst mit der Kopie des zwanzig Jahre alten Totenscheins kam er zunächst nicht weiter. Die Familienstammbaum-Programme, über die er so schnell an seine eigene Mischpoke gekommen war, erwiesen sich auf ihrer Spur als weitaus weniger effizient. Sie schien aus einer Familie von wesentlich geringerem Status zu stammen, und dieser Mangel an Identität beeinträchtigte ihre Präsenz in der Welt. Er war ein wenig erstaunt über den Mangel an Informationen. Die Programme für die Suche nach verschollenen Verwandten versprachen, praktisch jeden ausfindig zu machen, und so war ihr offensichtliches Verschwinden aus sämtlichen Verzeichnissen ein beunruhigendes Phänomen.
    Dennoch sollten seine ersten Bemühungen nicht völlig vergebens sein. Zu den Dingen, die er in den Monaten seit seiner großen Auszeit gelernt hatte, gehörte die Fähigkeit, mehr tangentiell zu denken. Als Psychoanalytiker war er darin geübt,Symbolen zu folgen und die Lebenswirklichkeit dahinter aufzuspüren. Jetzt bediente er sich ähnlicher Methoden, wenngleich auf eine viel konkretere Weise. Nachdem Claire Tysons Name keine Ergebnisse hervorgebracht hatte, suchte er nach anderen Wegen. Ein elektronischer Vorstoß ins Grundbuch von Manhattan führte ihn immerhin zum derzeitigen Eigentümer des Gebäudes, in dem sie gewohnt hatte. Eine weitere Suche ergab Namen und Adressen in der Stadtbürokratie, wo sie ihre Sozialhilfe beantragt haben musste, wie auch die Lebensmittelmarken und das Kindergeld. Er brauchte sich nur, so seine Überlegung, Claire Tysons Leben vor zwanzig Jahren vorzustellen und weiter einzugrenzen, um zu begreifen, welche Kräfte damals im Spiel gewesen waren. An irgendeiner Stelle musste ihn das Bild, das auf diese Weise Gestalt annahm, zu seinem Widersacher führen.
    Zudem durchforstete er die elektronischen Telefonbücher des nördlichen Florida. Dort war sie groß geworden, und Ricky ging davon aus, dass weitere Angehörige außer Rumpelstilzchen, falls es denn welche gab, am ehesten dort zu finden waren. Auf dem Totenschein war eine Adresse unter der Rubrik
Nächste Angehörige
verzeichnet, doch als er die Anschrift mit dem entsprechenden Namen abglich, stellte er fest, dass dort inzwischen jemand anders wohnte. In der Gegend von Pensacola gab es eine Menge Tysons, und denen allen nachzugehen, kam einer Sisyphusarbeit gleich – bis Ricky sich seiner eigenen handschriftlichen Notizen aus den Sitzungen mit der Frau entsann. Sie hatte, erinnerte er sich, einen Highschool-Abschluss und war zwei Jahre aufs College gegangen, bevor sie das Studium abbrach und mit einem Matrosen von der Marinebasis türmte, dem Vater ihrer drei Kinder.
    Ricky druckte die Namen potenzieller Verwandter und die Adressen sämtlicher Highschools in der Gegend aus.
    Je länger er auf die Worte auf dem Papier starrte, desto mehr dämmerte ihm, dass er gerade tat, wozu er vor so vielen Jahren verpflichtet gewesen wäre: sich über eine junge Patientin kundig machen, um diese Frau zu verstehen.
    Er nahm an, dass sich in beiden Welten seither nicht allzu viel verändert hatte. Pensacola, Florida, liegt im so genannten Bibel-Gürtel. Schrille Stimmen trichtern den Menschen Jesus ein, loben unentwegt den Herrn und gehen nicht nur sonntags zur Kirche, sondern auch an jedem anderen Tag, den Gott werden lässt, wenn Seine Gegenwart vonnöten scheint. New York dagegen, nun ja, dachte Ricky, die Stadt stand vermutlich für so ziemlich alles, was jemandem, der aus Pensacola kam, falsch und verwerflich war. Es musste eine irritierende Kombination gewesen sein. Eines jedoch schien ihm relativ sicher: Es war weitaus naheliegender, dass er Rumpelstilzchen in der City fand als im Norden Floridas auf dem Lande. Gleichwohl ging er davon aus, dass der Mann da unten im Süden seine

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