Der Patient
die übernatürlich weiß unter der Golfsonne glitzerten, zeugten, so schien es, von Hoffnung und Zukunftschancen. Die Autos, die auf den Einfahrten parkten, glänzten sauber und neu. Auf einigen Rasenflächen sah er Schaukelanlagen und Plastikspielzeug, und trotz der Vormittagshitze waren Kinder draußen und spielten unter den wachsamen Augen ihrer Eltern. Die Demarkationslinien waren allerdings nicht zu übersehen: Nur wenige Straßen in eine andere Richtung weiter, und die Häuser wirkten plötzlich schäbig und ungepflegt – Farbe, die von den Wänden blätterte, verfleckte Regenrinnen; braune Schmutzstriemen, Maschendrahtzäune, der eine oder andere Wagen, ohne Räder und verrostet, auf Steinen aufgebockt. Weniger vergnügtes Kindergekreisch, dafür randvoll mit Flaschen gefüllte Abfalltonnen. Ein Viertel, in dem die Träume schnell an ihre Grenzen stoßen, resü mierte er.
In der Ferne lag die Golfbucht mit ihrer strahlend blauen Wasserfläche und der Stützpunkt mit seiner stolzen Flotte grauer Marineschiffe – die Achse, um die sich alles drehte. Doch je weiter er sich vom Meer entfernte, desto heftiger schlug ihm die soziale Benachteiligung entgegen. Je tiefer er in das Straßengeflecht eindrang, desto begrenzter, zielloser schien ihm diese Welt – so hoffnungslos wie eine leere Flasche.
Er fand die Straße, in der Claire Tysons Familie wohnte, und schauderte. Sie war nicht besser oder schlechter als all die anderen Häuserblocks, doch gerade dieses Mittelmaß sprach Bände: ein Ort, aus dem man besser flieht.
Ricky suchte nach der Nummer dreizehn, die in der Mitte des Straßenzugs lag. Er hielt an und parkte am Bürgersteig.
Das Haus selbst unterschied sich wenig von den anderen. Ein eingeschossiges, Zwei- oder Drei-Zimmer-Domizil mit den Kästen der Klimaanlage unter mehreren Fenstern. Eine Betonplatte diente als Eingangsbereich, ein rostiger alter Kesselgrill lehnte an der Seitenwand. Auf dem verblichenen rosa Anstrich des Hauses prangte nahe der Tür eine krakelige, handgeschriebene schwarze Dreizehn. Die Eins war deutlich größer als die Drei, und das Ganze machte den Anschein, als habe es sich derjenige, der die Adresse an der Wand anbrachte, mitten im Schreiben anders überlegt. An die Vorderseite eines offenen Carports war ein Basketballkorb angenagelt, der für seinen ungeübten Blick zwanzig bis dreißig Zentimeter unter der vorschriftsmäßigen Höhe hing. An einem Pfosten lag ein verblasster, orangefarbener Ball. Der Vorgarten wirkte verwildert, das unkrautüberwucherte Gras wechselte mit Streifen blanker Erde. Kaum betrat er den Weg zur Haustür, ließ ein blonder, angeketteter Hund hinter einem Drahtzaun, der den winzigen Garten einfriedete, ein wütendes Gekläff ertönen. Die aktuelle Tageszeitung lag noch vorne an der Straße; er hob sie auf und nahm sie mit zur Tür. Er drückte die Klingel und hörte es drinnen schrillen. Im Haus schrie ein Baby, verstummte aber sofort, als eine Stimme sagte: »Ich komm ja schon …«
Die Tür ging auf, und vor ihm stand eine junge schwarze Frau, ein Kleinkind auf die Hüfte gestemmt. Sie ließ die Fliegengittertür geschlossen.
»Was wollen Sie?«, fragte sie in kaum verhaltenem Ärger.
»Was darf’s denn diesmal sein, der Fernseher? Die Waschmaschine? Vielleicht die Möbel? Oder wie wär’s mit der Babyflasche? Was nehmen Sie diesmal mit?« Sie blickte an ihm vorbei auf die Straße, als rechnete sie dort mit einem Lkw und Möbelpackern.
»Ich komme nicht, um irgendwas zu holen«, erwiderte er.
»Sind Sie von den Elektrizitätswerken?«
»Nein, ich bin von keiner Inkassofirma, und ich bin auch kein Zwangsvollstrecker.«
»Wer sind Sie dann?«, fragte sie in nach wie vor aggressivem, abweisendem Ton.
»Ich bin nur jemand, der ein paar Fragen an Sie hätte«, sagte Ricky mit einem Lächeln. »Und für ein paar Antworten vielleicht auch ein bisschen Geld.«
Die Frau sah ihn mit einer Mischung aus Argwohn und Neugier an. »Was für Fragen denn?«, wollte sie wissen.
»Fragen zu jemandem, der hier mal gewohnt hat. Vor einer ganzen Weile.«
»Ich weiß nicht viel«, sagte die Frau.
»Eine Familie namens Tyson«, hakte Ricky nach.
Die Frau nickte. »Muss der Mann sein, wo sie an die Luft gesetzt haben, bevor dass wir hier eingezogen sind.«
Ricky zückte seine Brieftasche und holte einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus. Er hielt ihn ihr entgegen, und die Frau öffnete die Fliegengittertür. »Sind Sie so was wie’n Cop?«, fragte sie.
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