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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Vorstellungswelt, von Jack the Ripper über Billy the Kid zu John Wayne Gacy und den Zodiac-Killer. Von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Er las über Kriegsverbrechen und Heckenschützen, über Auftragsmörder und satanistische Rituale, über Gangster und verwirrte Teenager, die Sturmgewehre mit in die Schule nahmenund nach Klassenkameraden suchten, die sie vielleicht einmal zu oft gehänselt hatten.
    Zu seiner Überraschung war er in der Lage, alles, was er las, zu rubrizieren. Kaum hatte er den nächsten Wälzer zugeschlagen, in dem die grässlichsten Taten, die ein Mensch an einem anderen begehen kann, in allen Einzelheiten ausgebreitet wurden, legte er zusammen mit dem Buch auch Frederick Lazarus ab und wurde wieder zu Richard Lively. In der einen Rolle befasste er sich damit, wie man ein ahnungsloses Opfer in ein Halseisen zwängen kann und wieso ein Messer ein so ungeeignetes Mordinstrument darstellt, in der anderen las er dem vierjährigen Enkel seiner Vermieterin Gutenachtgeschichten vor und lernte Dr. Seuss auswendig, wovon der Junge zu keiner Tag- und Nachtzeit genug bekommen konnte. Und während einer von ihnen die revolutionierende Bedeutung der DNS-Analyse für die Tatortuntersuchung studierte, schlug sich der andere eine Nacht am Telefon um die Ohren, um einen Studenten, der eine Überdosis genommen hatte, von seinem gefährlichen High herunterzuholen.
    Dr. Jekyll und Mr. Hyde, dachte er.
    Und er stellte fest, dass er auf eine perverse Weise die Gesellschaft beider genoss – so absurd es auch war, vielleicht sogar mehr als die des Mannes, der er gewesen war, bevor Rumpelstilzchen in sein Leben trat.
     
    In den ersten Frühlingstagen verbrachte Ricky mitten in der Nacht drei Stunden mit einer verstörten, zutiefst depressiven jungen Frau am Telefon, die, eine Flasche Schlaftabletten vor sich auf dem Tisch, in ihrer Verzweiflung die Hotline für Suizidgefährdete angerufen hatte. Er sprach mit ihr über das, was aus ihrem Leben geworden war und was daraus werden konnte. Mit seiner bloßen Stimme breitete er ein Wortgemäldevor ihr aus und schilderte in höchsten Tönen eine Zukunft frei von den Sorgen und Zweifeln, die sie in ihren gegenwärtigen Zustand getrieben hatten. Dabei wob er Hoffnung in jeden Gesprächsfaden ein, den er knüpfte, und als sie beide den Morgen heraufziehen sahen, hatte sie die Überdosis beiseite gelegt und einen Termin bei einem Klinikarzt gemacht.
    Als er später am Tag seine Schicht in der Hausmeisterei hinter sich hatte, betrat er mithilfe seines elektronischen Studentenausweises den studentischen Lesesaal des Informatikinstituts. Dabei handelte es sich um einen quadratischen Raum mit Lesekabinen, die je über einen ans Hauptsystem angeschlossenen Computer verfügten. Er fuhr seinen hoch, gab sein Passwort ein und schon war er drin. In einer Mappe links von ihm befanden sich die spärlichen Informationen, die er in seinem früheren Leben über die von ihm vernachlässigte Frau zusammengetragen hatte. Er zögerte einen Moment, bevor er seinen ersten elektronischen Vorstoß unternahm. Ricky hatte sehr wohl verstanden, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach auch dann seine Freiheit erlangen und ein stilles, einfaches Leben führen konnte, wenn er schlicht für den Rest seiner Tage Richard Lively blieb. Das Leben als Hausmeister war gar nicht mal so schlecht, gab er zu. Er fragte sich ehrlich, ob es am Ende nicht besser wäre, nichts in Erfahrung zu bringen. Denn eines wusste er auch: Hatte er erst einmal begonnen, die wahre Identität von Rumpelstilzchen und seinen Partnern Merlin und Virgil aufzudecken, gäbe es kein Halten mehr. Zweierlei würde geschehen, sagte er sich. All die Jahre, in denen er als Dr. Starks der Maxime gefolgt war, dass es ein lohnendes Unterfangen war, die Wahrheit aus dem Innersten hervorzuholen, würden die Oberhand gewinnen. Und Frederick Lazarus würde – als Medium für seine Attacke – seinen eigenen Tribut einfordern.
    Eine Zeit lang, wie lange, konnte er nicht sagen, war Ricky zwischen diesen beiden Möglichkeiten hin und her gerissen. Es mochten Sekunden gewesen sein oder Stunden, die er – die Finger reglos über der Tastatur – auf den Monitor gestarrt hatte.
    Er sagte sich, dass er schließlich kein Feigling sein wollte.
    Das Problem war nur, welche der beiden Optionen die feige darstellte. Sich verstecken? Oder handeln?
    Als er seine Entscheidung traf, überkam ihn ein kalter Schauder. Wer warst du, Claire Tyson?
    Und wo sind deine

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