Der Patient
haben wollen, sind Sie da«, erwiderte Ricky. Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Und jetzt kommt der knifflige Punkt. Falls sonst noch jemand kommt und nach mir fragt, ich meine, wirklich irgendjemand.Irgendjemand sonst, der ohne ein Päckchen kommt – also, ich kann mich hoffentlich darauf verlassen, dass Sie demjenigen sagen, Sie wüssten nicht, wo ich hingegangen bin oder wer ich bin oder so. Nicht ein Wort. Keinerlei Hilfe. Verstanden?«
»Nur der Mann mit dem Päckchen. In Ordnung. Was ist denn in dem Päckchen?«
»Besser, Sie wissen das nicht. Und Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich Ihnen das sage.«
Diese Antwort schien Bände zu sprechen.
»Und wenn ich nun kein Päckchen sehe? Wie soll ich dann wissen, ob es der Richtige ist?«
Ricky nickte. »Da sagen Sie was, Kumpel«, antwortete er. »Und ich kann Ihnen noch was verraten. Fragen Sie ihn, woher er Mr. Lazarus kennt, und er antwortet Ihnen so was wie, ›Weiß doch jeder, dass Lazarus am dritten Tage auferstanden ist‹. Dann können Sie, wie gesagt, die Nummer rausrücken. Kriegen Sie das geregelt, springt wahrscheinlich mehr für Sie raus als ’n Hunderter.«
»Am dritten Tage. Lazarus ist auferstanden. Klingt nach irgendwelchem Bibelkram.«
»Kann schon sein.«
»Okay, ich hab’s.«
»Gut«, sagte Ricky und steckte die Waffe wieder in die Tasche, nachdem er den Abzugshahn mit einem Klicken zurückgeschoben hatte, das nicht minder aussagekräftig war als zuvor jenes beim Anspannen. »Ich bin froh, dass wir diese kleine Unterhaltung hatten. Jetzt fühl ich mich hier viel besser aufgehoben.« Ricky schenkte dem Portier ein Lächeln und deutete auf das Pornoheft. »Dann will ich Sie auch nicht länger von Ihrer Fortbildung abhalten«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
Natürlich gab es keinen Mann mit einem Päckchen, auf den Ricky wartete. In Bälde würde jemand ganz anderes im Hotel aufkreuzen, tippte er. Und aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Portier dieser Person, die nach ihm suchte, sämtliche gewünschten Auskünfte erteilen, besonders wenn er sich im Handumdrehen von Mr. R. oder Merlin oder Virgil vor die Wahl gestellt sah, Bares oder aber Prügel zu beziehen. Wenn der Portier dann die Antworten weitergegeben hatte, die Ricky ihm eingeimpft hatte, gab es für Rumpelstilzchen einigen Grund zum Grübeln. Ein Päckchen, das nicht existierte. An eine Person geliefert, die es nie gegeben hatte. Das war nach Rickys Geschmack. Tisch ihm eine Lüge auf, über die er sich den Kopf zerbrechen kann!
Er fuhr ans andere Ende der Stadt, um sich in das nächste Hotel auf seiner Liste einzumieten.
Von der Ausstattung her glich dieses dem vorherigen, und das beruhigte ihn. Hinter einer riesigen, verkratzten Theke saß ein geistesabwesender Portier, und zwar in einem beispiellos schlichten, deprimierenden und schäbigen Raum. Ricky war an zwei Frauen in eindeutiger Berufskleidung – kurzen Röcken, Hochglanz-Make-up, Pfennigabsätzen und schwarzen Netzstrümpfen – vorbeigekommen, die in der Eingangsdiele herumgelungert und ihm nach Verdienstmöglichkeiten schmachtende Blicke zugeworfen hatten. Er hatte nur kurz den Kopf geschüttelt und war weitergegangen. »Cop …«, hörte er eine der beiden sagen, bevor sie sich verzogen. Das erstaunte ihn. Er dachte, es sei ihm gelungen, sich an die Welt, in die er abgestiegen war, zumindest optisch anzupassen. Doch vielleicht war es schwerer, seine alte gesellschaftliche Stellung abzuschütteln, als er vermutet hatte. Man trägt das, was man ist, innerlich wie äußerlich mit sich herum.
Er plumpste aufs Bett und fühlte, wie unter ihm die Federnnachgaben. Die Wände waren dünn, und so drang in Form von rhythmischem Stöhnen und Gestoße der berufliche Erfolg einer Kollegin der beiden Damen durch die Rigipsplatten, hinter denen gerade ein Bett zum Einsatz kam. Hätte er bei seinem Plan auf solche Dinge geachtet, dann hätten ihn die Geräusche und Gerüche – namentlich der schwache Urindunst, der aus den Luftschächten sickerte – zutiefst deprimiert. Doch dieses Milieu war perfekt. Er musste Rumpelstilzchen davon überzeugen, dass er sich mit der Unterwelt nicht weniger vertraut gemacht hatte als dieser selbst.
Neben dem Bett stand ein Telefon, und Ricky zog es zu sich heran. Sein erster Anruf galt dem Börsenmakler, der seine bescheidenen Anlagekonten verwaltet hatte, als er noch am Leben war. Er bekam die Sekretärin des Mannes an den Apparat. »Kann ich Ihnen helfen?«,
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