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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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widerstrebend, »Mister …«
    »Verstehe«, erwiderte er. »Aber ich bin nur bis morgen in der Stadt, dann muss ich nach Los Angeles zurück. Tut mir wirklich leid, dass das alles so hektisch ist …«
    »Ich werde sehen, was ich machen kann … aber Ihr Name?«
    »Ulysses«, sagte Ricky. »Mister Richard Ulysses. Und ich bin unter dieser Nummer zu erreichen …«
    Er zog eine der gefälschten Visitenkarten heraus, auf der der Firmenname PENELOPE’S SHROUD PRODUCTIONS prangte.
    Als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt, nahm er einen Füllfederhalter vom Schreibtisch, strich eine erfundene Festnetznummer mit kalifornischer Vorwahl durch und schrieb seine letzte unverbrauchte Handynummer darunter. Dabei achtete er darauf, die gefälschte Nummer unkenntlich zu machen. Eine klassische Bildung war bei den Agenten wohl nicht zu befürchten.
    »Sehen Sie, was Sie tun können«, sagte er. »Falls es ein Problem gibt, rufen Sie mich unter dieser Nummer an. Die glänzendsten Karrieren haben schon bescheidener angefangen. Denken Sie bloß an die kleine Lana Turner im Drugstore! Also, ich mach mich dann mal auf die Socken. Noch ’ne ganze Reihe Fotos anzusehen, Sie wissen schon. Laufen ’ne Menge Schauspielerinnen da draußen rum. Wär doch höchst bedauerlich,wenn eine ihre große Chance verpassen würde, nur weil sie sich eine Einladung zum Essen entgehen lässt.«
    Und damit drehte Ricky sich um und verließ die Bühne. Er war nicht sicher, ob sein dynamischer, nassforscher Auftritt die gewünschte Wirkung erzielen würde.
    Möglicherweise ja.

33
     
    Bevor Ricky am folgenden Morgen zum Gericht aufbrach, machte er mit Virgils Agenten die Lunch-Verabredung fest und bestätigte auch die Treffen mit den anderen zwei Schauspielerinnen, die er nicht einzuhalten gedachte. Der Mann hatte ein paar Fragen zu den Werbespots gestellt, die Ricky produzieren wollte, und Ricky hatte locker vom Hocker drauflos phantasiert, über Produktplatzierung im Fernen Osten und in Osteuropa und den neuen Märkten, die in der Region erschlossen würden, weshalb die Werbeindustrie mit neuen Gesichtern aufwarten müsse. Ricky fand, dass er allmählich geübt darin war, mit vielen Worten nichts zu sagen – eine der wirksamsten Lügen überhaupt. Eventuelle Vorbehalte des Agenten verfingen sich in Rickys Lügengespinst. Immerhin war es durchaus denkbar, dass die Verabredung zu etwas führte, wofür er zehn Prozent einstrich, oder es war umsonst, was nicht sein Schaden war. Ricky wusste, dass er kein so leichtes Spiel gehabt hätte, wäre Virgil ein etablierter Star gewesen. Doch das war sie noch nicht, und das kam ihr zugute, als sie eine Rolle in dem Drama übernahm, das sein Leben ruinierte, und es bereitete ihm nicht die geringsten Gewissensbisse, sich ihren Ehrgeiz zunutze zu machen.
    In seinem Hotelzimmer legte er widerstrebend die Handfeuerwaffe ab. Er wusste, dass er nicht riskieren konnte, im Gerichtsgebäude einen Metalldetektor auszulösen, doch er hatte sich an die Sicherheit, die ihm die Pistole gab, gewöhnt, auchwenn er immer noch nicht wusste, ob er sie zu ihrem eigentlichen Zweck benutzen würde oder nicht – eine Entscheidung, die, wie er glaubte, unaufhaltsam näher rückte. Bevor er ging, betrachtete er sich jedoch noch einmal im Badezimmerspiegel. Er hatte sich adrett gekleidet, in Blazer und Krawatte, Anzughemd und Hose. Gut genug, um sich mühelos in das ständige Kommen und Gehen in den Fluren des Gerichts einzureihen, was ihm auf eigentümliche Weise denselben Schutz gewährte wie die Waffe, wenngleich auf weniger radikale. Er wusste, was er vorhatte, und er begriff, dass es einer Gratwanderung glich.
    Der Grat zwischen Töten, Sterben und der ersehnten Freiheit war äußerst schmal.
    Während er sein Spiegelbild anstarrte, erinnerte er sich an eine der ersten Vorlesungen, die er in Psychiatrie gehört hatte. Der Fakultätsarzt hatte erklärt, egal wie viel über das Verhalten und die Emotionen eines Patienten bekannt, egal wie fundiert die Diagnose und der Behandlungsplan für eine Neurose oder Psychose auch war, könne man letztlich nie mit absoluter Sicherheit voraussagen, wie jemand reagierte. Es gebe durchaus Prädikatoren, hatte der Professor eingeräumt, und in der Mehrzahl der Fälle würden die Patienten sich tatsächlich so verhalten wie erwartet. Zuweilen aber trotzten sie allen Prognosen, und dies passiere immerhin so oft, dass ihre Arbeit etwas von Rätselraten hatte.
    Er war gespannt, ob er diesmal

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