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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Verbrechen, das heute Nacht begangen wurde, zu begreifen – falls es überhaupt ein Verbrechen gegeben hat. Sie wird auch an Sie Fragen haben, aber ich denke, er wird auf die Fürsorge der Schwester und des Bruders, die er liebt, angewiesen sein und früher oder später auch juristischen Rat benötigen, vorausgesetzt, er kommt durch. Ich denke daher, als erstes müssen Sie sich mit dieser Situation befassen.«
    Beide Geschwister schwiegen.
    »Natürlich liegt die Entscheidung ganz bei Ihnen. Vielleicht lassen Sie ihn die Suppe allein auslöffeln. Vielleicht auch nicht. Das liegt bei Ihnen, und Sie werden damit leben müssen. Aber es gibt noch ein paar Dinge, die geregelt werden müssen.«
    »Was für Dinge?«, fragte Virgil in verhaltenem Ton, der ihre Emotionen kaschieren sollte, was, wie Ricky fand, auch höchst aufschlussreich war.
    »Kommen wir zum geschäftlichen Teil: das Geld, das Sie mir von meinen Rücklagen- und anderen Konten und Depots gestohlen haben. Sie werden die ganze Summe zurückzahlen, und zwar auf das Crédit-Suisse-Konto Nummer 01-00976-2. Schreiben Sie das auf. Sie werden das prompt erledigen …«
    »Oder?«, fragte Merlin.
    Ricky lächelte. »Ich dachte, es wäre eine Binsenweisheit, dass Anwälte nie eine Frage stellen sollten, auf die sie längst die Antwort wissen.«
    Das brachte den Mann zum Schweigen.
    »Was noch?«, fragte Virgil.
    »Wir eröffnen ein neues Spiel«, sagte Ricky. »Es heißt ›Am Leben bleiben‹. Wir spielen alle mit. Zugleich.«
    Weder Bruder noch Schwester erwiderten etwas.
    »Die Regeln sind einfach«, sagte Ricky.
    »Nämlich?«, fragte Virgil leise.
    Ricky schmunzelte ein wenig. »Zu dem Zeitpunkt, als mein letzter Urlaub bevorstand, habe ich zwischen fünfundsiebzig und hundertfünfundzwanzig Dollar die Stunde für die Analyse genommen. Im Durchschnitt habe ich jeden Patienten zu vier, manchmal zu fünf Sitzungen pro Woche gesehen, und das normalerweise achtundvierzig Wochen im Jahr. Den Rest können Sie sich selber ausrechnen.«
    »Ja«, sagte sie. »Wir sind mit Ihrem Berufsleben vertraut.«
    »Umso besser«, sagte Ricky forsch. »Und so geht das Spiel ›Am Leben bleiben‹. Je mehr Menschen unmittelbar in Ihr Leben treten, desto mehr zahlen Sie, weil Sie auch für ihre Sicherheit bezahlen werden.«
    »Wie meinen Sie das, ›mehr Menschen‹?«
    »Das überlasse ich Ihnen«, sagte Ricky kalt.
    »Und wenn wir nicht machen, was Sie wollen?«, fragte Merlin in scharfem Ton.
    Ricky antwortete in unterkühltem, gleichmütigem, doch scharfem Ton. »Sobald kein Geld mehr fließt, gehe ich davon aus, dass sich Ihr Bruder von seinen Wundenerholt hat und mich aufs Neue jagt. Und dann sehe ich mich gezwungen, Sie erneut zu jagen.«
    Ricky schwieg und fügte dann hinzu: »Oder jemanden, der Ihnen nahesteht. Eine Frau. Ein Kind. Einen Geliebten. Jemanden, der Ihnen dabei hilft, ein normales Leben zu führen.«
    Wieder sagten sie nichts.
    »Wie sehr wünschen Sie sich ein normales Leben?«, fragte Ricky.
    Auf diese Frage herrschte Schweigen, und eine Antwort erübrigte sich auch.
    »Das ist«, fuhr Ricky fort, »mehr oder weniger dieselbe Wahl, vor die Sie mich einmal gestellt haben. Nur dass es diesmal um Gleichgewicht geht. Sie können diese Balance zwischen Ihnen und mir wahren. Und Sie können diesen fairen Ausgleich durch die nun wirklich denkbar einfachste und unwichtigste Sache der Welt signalisieren: mit Geld. Also fragen Sie sich selbst: Wieviel ist mir das Leben, das ich führen möchte, wert?«
    Ricky hüstelte, um ihnen einen Moment Zeit zu geben, und fuhr dann fort: »Das ist in mancher Hinsicht dieselbe Frage, die ich jedem stellen würde, der zu mir in Behandlung kommt.«
    Dann legte er auf.
    Der Himmel über New York war klar, und von seinem Fenstersitz aus konnte er, als das Flugzeug quer über die City Richtung La Guardia schwebte, die Freiheitsstatue und den Central Park sehen.
    Er hatte das seltsame Gefühl, als käme er gar nicht nach Hause, sondern besuchte irgendein Traumland, so wie man ein Sommerlager in der Wildnis vor sich sieht, in dem man alsKind, von den Eltern zu dieser Reise gezwungen, die Nächte durchgeheult hat.
    Ricky wollte zügig vorankommen. Er hatte den letzten Flug am selben Abend nach Miami zurück gebucht, und er hatte nicht viel Zeit. An der Theke der Leihwagenfirma war eine Schlange, und es dauerte eine Weile, bis man herausgefunden hatte, welches Fahrzeug für Mr. Lively reserviert war. Er verwendete seinen

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