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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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die Suche nach irgendeiner Lichtquelle die einzig angemessene Reaktion auf seine Lage war, und verließ unwillig den Sessel.
    Behutsam trat er, auch diesmal mit ausgestreckten Händen, in die Mitte des Zimmers und mimte einen Blinden. Er hatte den Raum eben halb durchquert, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte.
    Der Laut fuhr ihm in sämtliche Glieder.
    Er wirbelte so heftig herum, dass er stolperte. Er stieß mit der Hand in einen Köcher mit Stiften, die er über Tisch und Boden verstreute.
    Kurz vor dem sechsten Klingelzeichen, bei dem sich der Anrufbeantworter einschaltete, packte er das Telefon. »Hallo? Hallo?«
    Es meldete sich niemand.
    »Hallo? Ist da jemand?«
    Die Leitung war auf einmal tot.
    Ricky hielt den Hörer in der Hand und fluchte in die Dunkelheit, zuerst leise, dann laut. »Gottverdammte Scheiße! Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
    Er legte auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte, als wäre er erschöpft und müsste erst wieder zu Atem kommen. Er fluchte noch einmal, wenn auch diesmal etwas leiser.
    Wieder klingelte das Telefon.
    Er zuckte erstaunt zurück, griff nach dem Hörer, schlug damit auf die Tischplatte auf und riss ihn sich ans Ohr. »Das ist nicht komisch«, sagte er.
    »Dr. Ricky«, gurrte Virgil mit tiefer Stimme, aber in kokettem Ton. »Es behauptet ja auch keiner, dass das ein Witz sein soll.
    Im Grunde ist Mr. R. sogar ziemlich humorlos, hab ich mir zumindest sagen lassen.«
    Ricky verkniff sich das wütende Wort, das ihm auf der Zunge lag. Stattdessen ließ er sein Schweigen für sich sprechen.
    Nach ein paar Sekunden lachte Virgil. Es klang schrecklich in der Leitung.
    »Sie tappen immer noch im Dunklen, Ricky, stimmt’s?«
    »Ja«, sagte er. »Sie sind hier gewesen, nicht wahr? Sie oder jemand wie Sie ist hier eingebrochen, während ich draußen war, und …«
    »Ricky«, gurrte Virgil plötzlich, beinahe in verführerischem Ton, »Sie sind der Psychoanalytiker. Wenn Sie bei einer Sache nicht den blassesten Schimmer haben, besonders, wenn es um etwas ganz Einfaches geht, was machen Sie dann?«
    Er antwortete nicht. Sie lachte wieder.
    »Kommen Sie, Ricky. Und Sie halten sich für einen Meister der Symbolik und maßen sich an, alle möglichen Rätsel zu deuten? Wie können Sie Licht in etwas bringen, das völlig im Dunkel liegt? Na ja, das ist Ihr Beruf, oder?«
    Sie gab ihm keine Gelegenheit zu antworten.
    »Folgen Sie der einfachsten Spur, und Sie haben die Antwort.«
    »Was?«, fragte er.
    »Ricky, ich seh schon, Sie werden in den kommenden Tagen mächtig auf meine Hilfe angewiesen sein, wenn Sie ehrlich versuchen, Ihre Haut zu retten. Oder ziehen Sie es vor, einfach im Dunkeln sitzen zu bleiben, bis der Tag kommt, an dem Sie sich das Leben nehmen müssen?«
    Er war verwirrt. »Ich komme nicht ganz mit«, sagte er.
    »Keine Bange, Sie haben’s gleich«, sagte sie in bestimmtem Ton. Dann legte sie auf und ließ ihn, den Hörer in der Hand, stehen. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er ihn wieder aufdem Sockel hatte. Die Nacht im Zimmer schien ihn zu verschlucken, die Ausweglosigkeit stürzte über ihm zusammen. Vom Dunkel und von dem Bewusstsein frustriert, dass jemand so mir nichts, dir nichts in seine Privatsphäre eingedrungen war, hätte er am liebsten laut hinausgebrüllt, dass er keine Ahnung hatte, was sie meinte. Vor Wut knirschte Ricky mit den Zähnen und stöhnte, während er die Tischkante packte. Am liebsten hätte er sich irgendetwas geschnappt und zerbrochen.
    »Eine einfache Spur«, sagte er so laut, dass er beinahe schrie.
    »Es gibt keine einfachen Spuren im Leben!«
    Der Klang seiner eigenen Stimme, die im schwarzen Raum verhallte, ließ ihn augenblicklich verstummen. Er kochte vor Wut.
    »Einfach, einfach …«, flüsterte er.
    Und da kam ihm eine Idee. Er war selbst erstaunt, dass sie seinen wachsenden Ärger durchdrang.
    »Das kann doch wohl nicht sein …«, sagte er und griff mit der Linken nach seiner Schreibtischlampe. Er tastete nach dem Fuß und fand das Elektrokabel an der Seite. Er nahm es zwischen die Finger und verfolgte es bis zu der Stelle, wo es normalerweise in den Stecker einer Verlängerungsschnur mündete, die an der Wand entlang zur Steckdose führte. Er ließ sich auf die Knie nieder und fand den Stecker in wenigen Sekunden. Er war aus dem Verlängerungskabel gezogen. Noch ein paar Sekunden, bis er das Ende des Kabels hatte. Er verband es mit dem Stecker, und das Zimmer erstrahlte im Licht. Er

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