Der Patient
das wohl soll, wo doch drei nun mal das Kriterium sind, um in den Club aufgenommen zu werden? Na ja, faszinierende Frage jedenfalls, über die wir bei anderer Gelegenheit ausgiebig diskutieren können. Im Moment, Ricky, sollten Sie sich wieder mit den Tipps beschäftigen, die ich Ihnen gegeben habe, und sich an die Arbeit machen. Die Zeit läuft Ihnen davon. Haben Sie je eine Analyse unter Termindruck durchgeführt, Ricky? Denn genau darum geht es hier. Sie hören von mir. Sie wissen ja, Virgil ist nie weit.«
Sie holte tief Luft und fügte hinzu: »Alles verstanden, Ricky?«
Er schwieg, und sie sagte es noch einmal, in strengerem Ton.
»Alles verstanden, Ricky?«
»Ja«, sagte er. Aber natürlich wusste er, als er das Telefon auflegte, dass das gelogen war.
7
Zimmermans Geist schien ihn auszulachen.
Nach einer höchst unruhigen Nacht war es endlich Morgen. Er hatte nicht viel geschlafen und dann auch nur mit lebhaften, bizarren Träumen, in denen seine tote Frau neben ihm in einem knallroten zweisitzigen Sportwagen saß, den er zwar nicht wiedererkannte, der aber, wie er im Traum sehr wohl wusste, ihm gehörte. Sie parkten direkt am Meer an einem vertrauten Strand, im tiefen Sand, nicht weit von ihrem Ferienhaus auf Cape Cod. Im Traum war es Ricky so vorgekommen, als ob das graugrüne Atlantikwasser – die typische Farbe kurz vor einem Gewitter – immer näher kam, so dass ihr Auto jeden Moment von einer Flutwelle erfasst zu werden drohte, und er wollte mit aller Macht die Wagentür öffnen, doch als er versuchte, den Griff zu bewegen, sah er einen blutverschmierten, grinsenden Zimmerman vor dem Fenster stehen, der die Tür zuhielt, so dass er in der Falle saß. Das Auto rührte sich nicht vom Fleck, und irgendwie wusste er, dass sich die Räder ohnehin in den Sand gegraben hatten. Im Traum hatte seine tote Frau ganz ruhig gewirkt und ihn zu sich gewunken, fast willkommen geheißen, und es war wirklich kein Kunststück gewesen, dies alles zu deuten, während er nackt unter der Dusche stand und sich in einer etwas unangenehmen, seiner trostlosen Stimmung entsprechenden Kaskade lauwarmes Wasser über den Kopf laufen ließ.
Ricky zog sich eine verblichene, schmuddelige, am Saum zerfransteKhakihose an, die den perfekten Used-Look abgab, für den Teenager im Laden draufgezahlt hätten, der in seinem Fall allerdings auf jahrelanger Abnutzung in den Sommerferien beruhte, der einzigen Zeit, in der er sie trug. An den Füßen hatte er ein nicht weniger verschlissenes Paar Schnürschuhe und am Oberkörper ein altes blaues Anzughemd, das er nur noch am Wochenende anziehen konnte. Er fuhr sich mit einem Kamm durchs Haar. Er betrachtete sein Spiegelbild und hatte einen gut situierten Mann vor Augen, der zum Urlaubsbeginn in saloppe Kleidung schlüpft. Jahrelang, überlegte er, war er am ersten Augusttag aufgewacht und hatte sich mit Vergnügen in seine alten, bequemen Klamotten gestürzt – symbolischer Auftakt zu einem langen Sommermonat, in dem er dem ausgefeilten Regelwerk des Psychoanalytikers von der Upper East Side den Rücken kehren und in eine andere Haut schlüpfen konnte. Urlaub war für Ricky die Zeit, in der er sich im Garten in Wellfleet die Hände schmutzig machen konnte, bei ausgedehnten Wanderungen am Strand ein bisschen Sand zwischen die Zehen bekam, populäre Krimis oder Liebesromane lesen und gelegentlich dieses grässliche Gemisch aus Preiselbeersaft und Wodka trinken konnte, das sie Cape Codder nannten. Dieser Urlaub versprach nicht diesen gewohnten Ablauf, auch wenn er sich aus Wunschdenken – vielleicht in einem Anfall von Trotz – für den Urlaubsanfang angezogen hatte.
Er schüttelte den Kopf und schleppte sich in die kleine Küche. Zum Frühstück machte er sich eine einsame Scheibe trockenen Weizentoast und schwarzen Kaffee, der bitter schmeckte, egal wie viele Löffel Zucker er hineingab. Er kaute den Toast mit einer Indifferenz, die ihn selbst überraschte. Er hatte nicht den geringsten Appetit.
Den rasch auskühlenden Kaffee trug er in sein Sprechzimmer,wo er Rumpelstilzchens Brief vor sich auf den Schreibtisch legte. Gelegentlich schielte er aus dem Fenster, als hoffte er, einen Blick auf die nackte Virgil zu erhaschen, die irgendwo auf dem Bürgersteig lauerte oder im Fenster einer Wohnung auf der anderen Seite der schmalen Straße. Er wusste, dass sie in der Nähe war, zumindest glaubte er es nach dem, was sie gesagt hatte, zu wissen.
Ricky schauderte einmal unwillkürlich. Er
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